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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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schreiben kannst du mit deinem Computerdings von dort aus genauso gut.“
    Für Computer konnte er sich nicht begeistern und machte nur das Nötigste an der Sternwarte damit. Privat nie. Er mochte nichts, was Knöpfe oder Tasten hatte, es sei denn, es handelte sich um ein Teleskop. Er hatte noch nicht bemerkt, dass ihm die ganze Welt des Wissens, nach der er so unendlich hungrig war, sekundenschnell greifbar geworden wäre. Ein Klick, ein Buch. Vielleicht war es gut so; bei Büchern kannte er kein Maß. Carly selbst fühlte sich wohl im Internet: sie fand es großartig, dass man in Sekunden jede benötigte Information fand, und sie schrieb dort ein öffentliches Weblog, ein Tagebuch, in dem sie ihre Gedanken über Sterne, den Garten und das Leben überhaupt unterbrachte. Diese Idee hatte sie von ihren alten Freunden aus Amerika. Noch taten das nicht viele, schon gar nicht in Deutschland; sie hatte sogar einen Medienpreis damit gewonnen. Lesen konnte es, wer Lust hatte, und sie hatte darüber Freunde gefunden. Manchmal kam ein Kommentar aus Amerika, aus Japan oder Australien, von jenseits aller Meere. Aber Thores ernsthafter Wissensdurst ließ ihm für solche Kindereien ohnehin keine Zeit.

    Thore schluckte sein Honigbrötchen so zufrieden, als hätte er gerade das Rad erfunden.
    „Da wird natürlich einige Arbeit auf dich zukommen, aber über die Bezahlung werden wir uns einig.“ Er strahlte sie an, in der gewohnten Gewissheit, dass sie nicht Nein sagen konnte. Nicht zu ihm.
    Aber diesmal hatte er eines vergessen.
    Hinter ihm stand unsichtbar Tante Alissa, die Augenbrauen in tiefstem Entsetzen hochgezogen, eine zitternde Hand abwehrend erhoben. Carly hätte schwören können, dass sie ihre Stimme hörte: „Alles, Kind, nur nicht ans Meer! Das überlebe ich nicht; nicht noch einmal, ich könnte keine Minute ruhig schlafen, das weißt du doch, denk doch an ...!“ Der Satz blieb unvollendet, wie immer.
    Thore drehte sich verwundert um, weil Carly so angestrengt über seine Schulter hinweg starrte. Natürlich war da niemand außer einem knorrigen Ast des Apfelbaums im Gespräch mit dem Wind.
    „Thore, das geht nicht“, sagte Carly. „Ich muss ...“
    Was musste sie eigentlich? Änderte sich nicht ohnehin gerade alles? Nein, Tante Alissa änderte sich nicht. Nie. Und Carly war Tante Alissa etwas schuldig. Abgesehen davon war Alissa ein Mensch, dem man um keinen Preis wehtun wollte. Nicht einmal Ralph hatte das je fertig gebracht.
    Thore beugte sich vor, sah sie forschend an, ein halbes Schmunzeln um die Mundwinkel.
    „Was musst du? Immer noch Rücksicht auf Tante Alissa nehmen? Vielleicht wäre es ein sehr guter Zeitpunkt, einmal auf dich selbst zu hören?“
    Er hatte es also nicht vergessen. Natürlich nicht; niemand kannte Carly so gut wie er. Miriam nicht, Orje nicht, Tante Alissa und Ralph schon gar nicht. Thore wollte erneut zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: ein eigenes Problem erledigen und Carly dazu bringen, wieder einmal über ihren Schatten zu springen und über sich hinauszuwachsen. Geschadet hatte ihr das noch nie.
    Nur würde sie es wie immer allein tun müssen.

    Tante Alissa war aus den Schatten verschwunden. Stattdessen sah Carly ein anderes Bild vor sich. Ihre eigenen Füße im Sand, noch sehr klein, im flachen, warmen Wasser. Daneben Tante Alissas Füße, knochig, der zweite Zeh länger als der große. Da war noch mehr, am Bildrand, aber sie bekam es nicht scharf. Etwas in ihr sträubte sich dagegen.
    „Ich kann nicht einfach wegfahren. Ich hab die Hausmeisterverpflichtungen.“
    Thore lehnte sich zurück. „Da gibt es bestimmt Möglichkeiten. Besprich es mit Orje“, sagte er. „Mit Ralph. Aber du musst dich bald entscheiden. Ich muss eine Lösung finden, bevor wir nach Ägypten fahren. Vermutlich könnte ich einen der Studenten fragen, Julius vielleicht. Aber es ist eine sehr persönliche Sache. Du weißt genau, was ich aufheben möchte und was nicht. Bei den Büchern zum Beispiel.“
    Ja, die Bücher. Sie musste lächeln. Keine Romane, aber eine bestimmte Sorte Erzählungen. Und alles, was mit Philosophie zu tun hatte. Gedichte kaum, aber historische Reiseberichte. Er hatte zwar keinen Platz mehr dafür, aber er würde sie alle nehmen.
    „Ich hätte für diese Sache gern jemandem, dem ich blind vertrauen kann“, fuhr er fort, sah sie mit dem Thore-Blick an. Typisch. Ein geschicktes Kompliment und doch meinte er es genauso, wie er es sagte. Weil es eben so war zwischen ihnen und

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