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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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immer so sein würde.
    Verwirrt räumte Carly das Geschirr zusammen. Thore war schon am Gartentor, als er innehielt, in seiner abgegriffenen Aktentasche suchte und zurückkam. Er stellte etwas auf das Tablett.
    „Das hatte ich fast vergessen. Das wollte ich dir schenken, egal, wie du dich entscheidest. Henny hat es mir vererbt, es lag in dem Umschlag mit dem Testament. Es war ihr Glücksbringer. Als Kind habe ich damit gespielt, es hat mich fasziniert.“
    Im Sonnenlicht glänzte ein fingerlanges, kunstvoll gearbeitetes Schiff mit silbernen Segeln und Tauen und einem Rumpf aus honigfarbenem Bernstein. Carly starrte es an. Sie fand es so zart und bezaubernd, dass sie nicht gleich wagte, es zu berühren.
    „Oooh!“, brachte sie nur heraus.
    „Du kannst es ruhig annehmen“, kam Thore ihrem Einwand zuvor. „Du hast einen Glücksbringer gerade nötiger als ich, und ich musste sofort an dich denken, als ich es aus dem Umschlag zog. Übrigens siehst du Henny ähnlich. Das ist mir damals gleich aufgefallen, als du in meine Vorlesung kamst.“
    Nur deshalb also hatte er sie damals so angestarrt. Carly seufzte. Wieder eine Illusion weniger. Aber vielleicht half ihr das, sich von Thore zu lösen.
    Das kleine Schiff zog sie magisch an. Sie nahm es nun doch in die Hand.
    „Danke! Es ist wunderschön!“
    „Melde dich! Tschüss!“

    Thores Vorschlag ließ Carly keine Ruhe. Sie beschloss, wieder einmal Orje um Rat zu fragen. Wann würde sie seine Geduld wohl überstrapazieren?
    Er war im Hof – wo sonst? – unter den Zitronenbäumen und fettete sorgfältig die Claviszähne Friederikes.
    Natürlich hörte er Carly zu, als sei das selbstverständlich.
    „Und? Was meinst du?“, fragte sie schließlich.
    Er drehte probehalber an der Kurbel. Ein paar nachdenkliche Töne fielen Carly vor die Füße.
    „Du brauchst das Geld“, sagte er, praktisch wie immer. „Und Abstand täte dir wahrscheinlich wirklich gut. Die Hausmeisterpflichten – das bisschen Fegen, Gießen, Treppeputzen, das kann ich auch, da mach dir keine Gedanken. Der Meister hat uns sowieso auf Kurzarbeit gesetzt. Viele Kunden sind im Urlaub. Ist nix los.“
    „Und Tante Alissa?“
    „Die muss es ja nicht wissen. Sie ruft dich doch sowieso nur auf dem Handy an. Noch ist sie in Ägypten, und danach wird sie nicht gleich nach Berlin kommen, sondern froh sein über ihren Hof in den Bergen.“
    „Aber ich kann doch so schlecht lügen.“
    „Und wenn schon. Herr Wielpütz kann auch nicht Fahrrad fahren und ist trotzdem Briefträger. Du erzählst es ihr ja. Hinterher! Ich bin sonst auch nicht für so was. Aber das ist eine knifflige Sache.“ Er drehte sich plötzlich heftig zu ihr um. „Mensch, Carly, du kannst diese Meergeschichte nicht für immer vor dir herschieben, nur wegen der Angst deiner Tante. Du kannst kein ganzes Leben verbringen, ohne in die Nähe einer Küste zu kommen.“ Er fasste sie an den Schultern, sah ihr in die Augen. „Ich kenne diese Sehnsucht in dir. Nach Antworten. Nach Erinnerungen. Und vor allem nach dem Meer. Weißt du nicht mehr, vor Jahren, als wir mit Ralph in eurem Stammbaum heimlich nach Ahnen gesucht haben, die Fischer, Seemann oder Kapitän waren, um eine Erklärung für diesen Drang in dir zu finden? Tante Alissa hat uns erwischt, hat uns die Ahnentafel weggenommen, ehe wir viel lesen konnten, und ist weinend aus dem Zimmer gelaufen. Danach hast du nie wieder davon gesprochen. Aber deshalb ist das doch nicht weg. Willst du ewig darum herumschleichen? Dann wirst du nie herausfinden, was du willst!“
    Orje ließ sie los und wandte sich wieder Friederike zu. „Die Diskussion ist ohnehin überflüssig“, sagte er mehr zu sich selbst. „Du wirst es sowieso tun. Weil es Thore ist, der dich gefragt hat.“
    Er polierte wieder an Friederike herum, als interessiere ihn nichts anderes. Bekümmert betrachtete Carly seinen gebeugten Rücken. Er hatte recht.
    „Spielst du mir was?“, fragte sie kläglich.
    „Gleich.“
    „Mancher findet mehr, als er sucht“, sagte Oma Jule hinter ihnen dunkel und schenkte Limonade ein. „Besonders am Meer!“
    „Mach ihr nicht noch mehr Angst, Oma“, sagte Orje. „Hier, spiel selbst, Carly, das beruhigt. Macht den Kopf frei.“
    Carly drehte die blank gewetzte alte Kurbel so gleichmäßig wie möglich, so wie Orje es ihr einmal gezeigt hatte. Die gleichförmige Bewegung glättete die aufgeschreckten Wirbelstürme in ihrem Denken tatsächlich.
    „ Unter Linden, unter Linden ...“, spielte

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