Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
Vom Netzwerk:
neben Abraham und rief in der tröstlichen Nähe seines Duftes Thore an.
    „Okay“, sagte sie entschlossen.
    „Wunderbar! Kannst du übermorgen losfahren? Ich hol dich morgens ab und bringe dich zum Bus, dann können wir unterwegs alles Nötige besprechen. Nach der Kreuzfahrt komme ich einen Tag oder zwei nach Ahrenshoop, dann kannst du mir alles zeigen, was du erreicht hast, und ich kann ein paar Sachen mitnehmen.“
    Die Bücher, meinst du, dachte Carly mit belustigter Zärtlichkeit.
    Übermorgen. Schon. Natürlich. Was hatte sie erwartet? So war er, ungeduldig, machte Nägel mit Köpfen.
    Sie steckte ihre Nase tief in eine von Abrahams Blüten, um sich zu beruhigen. Sie würde das Meer sehen! Das verbotene Meer, von dem sie nur die Erinnerung an ihre Kinderfüße im Wasser hatte, an wundersame Weite und den Nachklang eines schwellenden Rauschens und an einen geheimnisvollen Schimmer zwischen Himmel und Erde.
    Sie würde sogar Thore am Meer sehen. Vielleicht einmal mit ihm am Strand entlang laufen. Eine solche Stunde wäre ein bleibender, funkelnder Schatz für ihre innere Erinnerungskiste. Diese konkrete Aussicht, vorstellbarer als alles andere, ließ sie aufspringen und ihren Koffer suchen.

    Wind. Am Meer gab es Wind, fiel ihr ein, also den Anorak einpacken. Überhaupt: Pullover, Jeans, Shirts, fertig. Schicke Klamotten würde sie nicht brauchen, um ein Haus auszuräumen und einen Garten in Ordnung zu bringen. Sie buchte das Busticket, schrieb eine Liste für Orje, was er zu tun hatte. Damit das nicht so viel war, verbrachte sie den Folgetag damit, das Treppenhaus samt Fenstern zu putzen, die Wege zu fegen, die schmale Rasenfläche zu mähen.

    „Mach’s gut, Abraham“, sagte sie zu dem Rosenstock an dem Morgen, an dem Thore vorfuhr, um sie abzuholen. Mit Schwung hob er ihren Koffer ins Auto.
    „Ich bin gespannt, was du mir erzählst, wenn wir uns wiedersehen“, sagte er munter. „So ein altes Haus ist immer ein Abenteuer.“
    Sie genoss es stets, mit ihm im Auto zu sitzen, er hatte eine angenehme Fahrweise und es war so vertraut-gemütlich allein mit ihm in dem kleinen Raum.
    „Und wenn ich nicht weiß, was ich mit manchen Dingen tun soll?“
    „Du hast völlig freie Hand. Ansonsten lass es einfach stehen oder räum es in die Garage, dann können wir das besprechen, wenn ich komme.“
    „Gibt es denn eine Garage?“
    „Keine Ahnung!“ Er lachte über sich selbst.
    Wie würde sie sein Lachen vermissen! Aber sie musste sich ohnehin daran gewöhnen, dass es nicht mehr Teil ihres Alltags war.

    Die Stadt rauschte grau lärmend an ihnen vorbei, sprunghaft im Stop-and-go-Verkehr. Aus den Gullys zog der vertraute Gestank, den die Sommerhitze unter ihr braute, gnadenlos zu den offenen Fenstern herein. Leere Zigarettenschachteln scharrten im Windwirbel der Lastwagen über den löchrigen Asphalt, bis sie sich im Rinnstein am Hundekot verfingen.
    Carly würde auch sie vermissen, diese Stadt, die sie hasste und liebte zugleich. Doch sie sehnte sich fort, schon seit einiger Zeit. Und wenn es nur ein Aufatmen lang war.
    Thore war es wieder einmal, der ihr den Impuls dazu gegeben, der ihr dieses Geschenk gemacht hatte: die Gelegenheit und den Schubs.
    Es lag an ihr, etwas daraus zu machen.
    Blieb nur die Frage, was?
    Er umarmte sie zum Abschied. Für einen kurzen, kostbaren Moment lehnte sie sich in seine Arme, fand dort Mut.
    „Melde dich heute Abend, wenn du gut angekommen bist“, sagte er und lächelte sie an. Sie sah in seinen Augen, dass er genau wusste, wie ihr zumute war.
    „Ach, fast hätte ich es vergessen. Hier!“ Er drückte ihr einen Schlüssel in die Hand, der an einer fliegenden Möwe hing. Sie war aus Holz geschnitzt.
    Ein fröhliches Winken, dann war Thore fort.
    Carly fand ihren Bus, zeigte ihr Ticket, stieg ein. Sie betrachtete die kleine Möwe, die fein gearbeitet und bemalt war. Sie hatte einen dunklen Kopf und schien Carly aus blanken Augen verschmitzt zuzublinzeln. Unter ihrem Flügel waren Buchstaben eingeritzt: „J.G. für H.“
    Der Bus fuhr an. Carly atmete tief durch. „Dann lass uns also fliegen“, sagte sie in der Deckung des Motorenbrummens leise zu der kleinen Möwe.

6. Notizen am Spiegel
     

    Der Bus trug sie durch eine geschwungene Weite goldbrauner Felder, manche abgeerntet, andere erwartungsschwer reif. Am Straßenrand zogen Striche von Mohn und Kornblumen vorbei. Die waren Carly als Kind wie Märchenwesen erschienen, wenn sie ihnen im Urlaub begegnete. In Berlin gab

Weitere Kostenlose Bücher