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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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sorgfältig unter den erstbesten Gegenstand legte, damit sie ihrem Alltag nahe blieben und sie sie wieder lesen konnte, wenn ihr danach war. Vielleicht war sie vergesslich geworden und wusste es, umgab sich deshalb mit Notizen. Mit ihren eigenen und mit Jorams, damit sie beide ihr nicht verloren gingen.
    Es war Jorams Schrift:
    „... Ich verstehe übrigens nicht, dass viele Menschen ihr Zuhause nicht nutzen im Sinne von drin leben und wohnen, sondern nur als Behälter für Möbel und als Schlafstätte oder als möglichst nicht zu berührende Repräsentationsfläche für Sauberkeit und Wohlstand. – Wirklich wohnen ist doch eine Tätigkeit! Doch wem sage ich das. Dir ist das, von allen Menschen, die ich kenne, am klarsten bewusst und am tiefsten gelungen. Das geht aber nur, wenn man seinen wirklichen Ort gefunden hat. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Menschen ihren wirklichen Ort eben nicht finden ...“
    Darunter war von Henny notiert:
    „Was für ein schönes Kompliment. Aber ohne Jorams Beiträge wäre das hier niemals so gründlich und richtig mein Zuhause geworden. Mit dem Schreibtisch für Naurulokki fing es an ...“

    Carly war neugierig auf den Schreibtisch, aber sie wusste, wenn sie jetzt anfing, die Zimmer zu durchsuchen, würde sie von tausend Dingen abgelenkt werden und von den Konservendosen leben müssen, weil sie heute nicht mehr zum Einkaufen kam. Deshalb aß sie eine Scheibe Käse, stürzte ihren Tee herunter, zog Hennys Jacke an, weil die so bequem war, und schloss die Tür ab. Draußen blieb sie stehen. Dunkle, melodische Töne kamen lockend von irgendwoher. Sie dachte an Rory und folgte ihnen um die Ecke. An einer krummen Kiefer hing ein Windspiel aus verwitterten hohlen Ästen, auf Fäden gezogen und an einen hölzernen Ring gehängt, in der Mitte ein Klöppel in Form eines großen Steins mit einem Loch darin, der sanft in der Brise schaukelte und die Töne aus dem Holz rief. Das war eindeutig Jorams Werk. Er war tot oder verschwunden, und doch hallte seine Stimme auf diese Weise noch nach, über die Wiese und die Ecken von Hennys geliebtem Haus, lebendig gegenwärtig. So wie Vallis Lachen anscheinend auch. Hier gab es keinen Teppich, unter dem der Tod lauern konnte. Waren hier stattdessen, auf seltsam versöhnliche Weise, die Toten zugegen? Alles schien möglich an diesem Ort.

    An der Hauswand lehnte ein Fahrrad. Carly war begeistert. Genau, was sie brauchte. Sie wischte mit der Hand darüber. Es war mitternachtsblau, und darauf war mit silbernen Buchstaben von Hand der Name „Albireo“ gemalt. Albireo. Der helle Kopfstern des Schwans! Oh ja, Henny musste sich wirklich für die Sterne interessiert haben. Vielleicht ein Grund, warum sich Carly ihr so beunruhigend nahe fühlte.
    Es gab ein Fahrradschloss, in dem der Schlüssel steckte, und eine Tasche, die am Lenker befestigt war. Carly steckte eine Hand in die Tasche, zog etwas Eckiges heraus. Es war die Tüte einer Buchhandlung, und darin steckte zusammen mit dem Kassenzettel ein schmales Buch. „Meeresrauschen“, las Carly. „Gedichte von Nils Pickert“. Das war unheimlich. Offenbar Hennys letzter Einkauf. Sie war nie dazu gekommen, es zu lesen.
    Carly schlug den Band an einer willkürlichen Stelle auf.

    „ Neubeginn “, las sie.
     
    „... Wind zerzaust mein altes Leben,
Lässt, was mir noch unbekannt,
Bis in meine Mitte beben.

Was auch immer ich getan
Soll ab heute nicht mehr gelten:
Hinter mir der Ozean,
Vor mir völlig neue Welten.“

    Wie passend! Als hätte es der unbekannte Herr Pickert für sie geschrieben. Zumindest die ersten Zeilen trafen haargenau.

    Den einzigen Supermarkt zu finden war nicht schwer, es gab nur die eine Hauptstraße. Carly packte Hennys Tasche voll mit frischem Brot, Joghurt, Obst und Tee und was ihr sonst noch Appetit machte. Vor allem Fischbrötchen, die es an einem Stand vor der Tür gab. An der Kasse gingen ihr die vielen Touristen auf die Nerven, und sie sehnte sich nach Hennys stillem Haus und der Geborgenheit des Reetdachs, als wäre sie dort schon immer zuhause gewesen. Diese Erkenntnis berührte sie unangenehm. Für die Hausmeisterwohnung, in der sie aufgewachsen war, hatte sie so etwas nie empfunden, höchstens für Abraham. Manchmal auch für die Fiedlerinsel oder Thores Büro in der Sternwarte. Aber nie so deutlich.

    Auf dem Rückweg fiel ihr ein Laden auf.
    „ Strandgut. Galerie. An- und Verkauf .“
    War das nicht der Laden, in dem Synne arbeitete?
    Tatsächlich. Das

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