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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Vielleicht hatte Thore vor so langer Zeit genau hier geträumt, in diesem Bett.
    Sie ließ sich in die Müdigkeit fallen, mit dem eigenartig vertrauten Duft in der Nase, der durch das offene Fenster drängte.
    Doch sie nahm nicht den Gedanken an Thore mit in ihre Träume, sondern die Zeilen Joram Grafunders.

7. Lebendige Spuren
     

    In der Nacht wachte Carly auf, weil draußen der Wind erzählte, ein Wind, den sie so nicht kannte. Hier war er allein in der Luft, ungestört von Stadtverkehr. Sie kniete sich aufs Bett und rüttelte an dem halbrunden Fenster. Erst klemmte es, dann öffnete es sich mit einem Quietschen, das wie ein Aufschrei in der Stille wirkte. Carly lehnte sich hinaus. Über ihr wölbte sich schützend das Reetdach, verwehrte den Blick auf den Zenit, der Horizont hingegen breitete sich fast anmaßend vor ihr aus. Der Wind hatte die Regenwolken in eine fernere Landschaft verschoben und die Sterne zutage gefördert. Aber was für Sterne! Fast hätte Carly sie nicht wiedererkannt; für einen Augenblick war es, als hätte ihr Aufbruch ans Meer sogar den Himmel umgekrempelt. Es waren unfassbar mehr als gewohnt. Größer, heller, strahlender. Näher sogar.
    Natürlich, es fehlte das störende Streulicht der Großstadt, der Schmutz in der Luft. Das war alles, aber es war ungeheuerlich, was das für einen Unterschied machte! Auf den zweiten Blick erkannte sie erleichtert ihre Freunde, fand Adler, Herkules, den Großen Bären. Die Milchstraße – so hell und klar, so märchenhaft hatte Carly sie noch nie gesehen. In der Andromeda entdeckte sie einen Sternennebel, den man zuhause nicht ohne Fernrohr sah. Wie hieß er doch noch?
    Ob Thore in Berlin gerade eine seiner späten Nächte am Fernrohr verbrachte?

    Carly war hellwach. Sie stand auf, tastete sich nach unten, fand einen Lichtschalter im Flur. An der Garderobe hing eine geräumige taubenblaue Strickjacke. Carly zögerte einen Moment, nahm sie vom Haken. Die Jacke roch leicht nach demselben zitronigen Waschmittel wie die Betten – und nach Hennys Parfum. Kurz entschlossen zog Carly sie an und trat nach draußen. Die Loggia war zu überwachsen, um hier Himmel zu sehen. Barfuß lief sie auf den Rasen. Jetzt sah sie den Schwan, die Leier, Kepheus. Alle waren, wo sie hingehörten.
    Bis auf Carly.
    Henny Badonins weiche Jacke fühlte sich gut an, wohnlich und freundlich. Carly kuschelte sich hinein, steckte die Hand in die Tasche. Ein Zettel knisterte. Er war beschrieben, aber es war zu dunkel, um ihn zu lesen. Sie glaubte, liniertes Papier und Jorams Handschrift zu erkennen und amüsierte sich über sich selbst, als sie einen erwartungsvollen Hüpfer freudiger Neugier spürte. So war es bestimmt Henny ergangen, wenn sie Briefe von Joram bekommen hatte. Lag es daran, dass sie Hennys Jacke trug und Hennys Gefühle noch darin hingen wie ihr Parfum?
    Nein. Henny und Joram interessierten sie, weil es ähnlich schien wie mit Thore und ihr. Joram sprach von Freundschaft. Henny aber heftete seine Worte an den Spiegel und ließ sie jahrelang auf dem Tisch herumliegen. So handelt, wer liebt. Immerhin hatte Carly Thores Zettel nie an den Spiegel geklebt.
    „Aber aufgehoben hast du sie alle, auch wenn da nur stand: Bitte kopieren!“, redete ihr Denken dazwischen.
    Ja, aufgehoben hatte sie alle, irgendwo in eine Schublade gestopft oder in Bücher gelegt, damit sie sie einmal wiederfand und darüber lächeln konnte, wenn alles Geschichte war und seine Gültigkeit verloren hatte. Oder tat es das nie? Sie konnte die Zettel nicht entsorgen, weil es seine Schrift war, die Sprache seiner Hand, ein Stück Thore.
    Das heißt, einige wenige hatte sie tatsächlich weggeworfen. Die, auf denen er – was selten geschah – mehr oder weniger versehentlich mit „Dein Thore“ unterschrieben hatte. Die warf sie fort, weil es nicht stimmte.

    Irgendwo in der Ferne hallte ein einsames, unheimliches Geräusch. Ein Fuchs, der bellte? Nein, dafür war es zu tief, zu laut. Kurze Zeit später kam eine Antwort aus einer anderen Richtung, dann wieder Stille bis auf den Wind und das rhythmische Rauschen, das vom Meer kam. Wellenrauschen. Daran erinnerte sie sich. Aber sie war jetzt zu müde, sich tiefer zu entsinnen.
    Drinnen war es still und warm. Sie hing Hennys Jacke zurück an die Astgabel der Garderobe, die, wie sie jetzt bemerkte, auch aus Treibholz gezimmert war. Den Zettel aus der Tasche legte sie auf den Tisch, sie würde ihn morgen lesen. Doch dann fiel ihr ein, dass sie unbedingt

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