Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
Vom Netzwerk:
Klingeln der Ladentür rief Synne prompt auf den Plan. „Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“ Dann erkannte sie Carly. „Ach, hallo! Schön, dass du reinschaust. Hast du dich schon eingelebt?“
    „Ich arbeite dran. Sag mal, du kennst doch hier sicher alle Leute?“
    „Na ja, alle ... die alteingesessenen schon. Andere kommen und gehen. Die Künstler vor allem sind eigenwillig, schwärmen vom Ort und dann sind sie nach ein paar Jahren doch wieder weg.“
    „Kennst du jemanden namens Naurulokki?“
    „Naurulokki?“ Synne runzelte die Stirn. „Das ist finnisch. Es bedeutet Lachmöwe. Die zierlichen mit dem schwarzen Kopf, weißt du. Warum?“
    „Nur so. Und weißt du etwas über einen Joram Grafunder?“
    „Joram Grafunder? Und ob. Hier!“ Synne zeigte auf einen niedrigen Tisch, auf dem Zeichnungen ausgebreitet waren. Offenbar fanden dort Kundengespräche statt. Er war von unregelmäßiger Form, mit wunderschöner Maserung. „Den hat er gemacht. Er war ein bekannter Tischler hier. Künstler eigentlich. Aber er nahm keine Aufträge an, ließ sich nie festlegen. Stellte nur her, was ihm Freude machte, und nur Einzelstücke.“
    „Ist er tot?“
    „Tja. Man geht davon aus. Aber seine Leiche ist nie gefunden worden. Er machte einen Spaziergang und kam nicht zurück. Angeblich hat ihn an jenem Tag einer im Wald gesehen, im Ahrenshooper Holz. Dann niemand mehr. Schon einmal, vor Jahrzehnten, ist hier ein Künstler auf diese Weise verschwunden. Aber warum all diese Fragen?“
    Carly strich über die matt glänzende, seidige Oberfläche des Tisches, die ihre Hand unwiderstehlich anzog. „Ich soll ein Haus ausräumen und zum Verkauf vorbereiten. Es gehörte einer Henny Badonin, und dort ...“
    „ Henny Badonin ?!“ Synne starrte sie entgeistert an. „Du wohnst im Haus von Henrike Badonin?“

Henny
1952

8. Die Schiffe
     

    Der Blitz traf genau in ihren rechten Augenwinkel. Geblendet blieb Henny stehen. Fast hätte ihr langer Baumwollrock sie zu Fall gebracht – und hatte sie nicht eine Hand auf ihrer Schulter gespürt, die sie zurückgehalten hatte? Verwirrt sah Henny sich um, aber hinter ihr war niemand. Klein-Liv, mit der sie sich eben noch ein Wettrennen geliefert hatte, verschwand weiter vorn hinter den Fliederbüschen ohne etwas zu bemerken. Auch die anderen gingen dort, ins Gespräch vertieft.
    „Natürlich hatte der Kursleiter recht. Du hast den Schatten wirklich falsch gezeichnet!“ Der Wind kam vom Meer und trieb Myras Stimme zurück zu Henny. Nicholas’ Antwort konnte sie nicht mehr verstehen, nur den Widerspruch hören, der darin lag. Sie lächelte zärtlich und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Gegenstand zu, der sie so frech angeblitzt hatte.
    Vor dem Kunstkaten hatten wie jeden Freitag Händler ihre Marktstände aufgestellt. Hobbymaler ebenso wie echte Künstler, auch Töpfer waren dabei. Die meisten davon kannte sie. Mit einigen hatte sie selbst Malkurse besucht, der eine oder andere hatte schon eines ihrer Bilder für sie verkauft.
    „Henny Badonin! Was kann ich für dich tun?“
    „Hallo Oskar. Was macht dein Rheuma?“
    Henny wollte Zeit gewinnen. Oskar stellte Schmuck her, aus Silber, Leder und Bernstein. Er verkaufte seine Waren hier und am Hafen, seit Henny sich erinnern konnte. Als sie klein war, hatte er ihr und Nicholas Bonbons aus Sanddornsirup zugesteckt. Das änderte nichts daran, dass er knallhart verhandelte. Wenn er sie aus seinen eisblauen Augen so scharf ansah wie jetzt, fühlte sie sich wie neun statt neunzehn.

    Die Frühlingssonne stand tief. Ihre Strahlen schafften es gerade noch über die Dünen, streiften den Strandhafer und trafen auf ein silbernes Segel, das ihr Licht spiegelte und geradewegs in Hennys Auge geworfen hatte. Behutsam nahm Henny das kunstvolle Schiffchen, das kaum länger als ihr Finger war – der, an dem ein Ring glänzte – und hob es in die Höhe. Sie entdeckte, dass nur die Segel und filigranen Taue aus Silber waren. Der Rumpf bestand aus einem goldgelben, durchsichtigen Bernstein. In ihm schien das Sonnenlicht für immer gefangen. Nicht das kühle von heute, sondern das dicke, warme vom letzten Sommer, in dem Nicholas und sie sich verlobt hatten. Das zarte Schiff saß schräg in ihrer Handfläche, den Bug zum Himmel gerichtet, wie bereit zum Aufbruch. Ein geheimnisvoller lautloser Wind legte all seine Kraft in die geblähten Segel. Als könnte das leuchtende Gefährt ihre Hoffnungen und Träume überall hin tragen, egal was für Wellen da

Weitere Kostenlose Bücher