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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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kommen mochten.

    „Das Rheuma macht, was es immer macht. Und das da kostet genau das, was dransteht!“ Oskar wies mit seinem Pfeifenstiel auf das Schild, das in der Lücke lag. Rechts und links davon standen zwei identische Schiffchen, nur der Rumpf des einen war noch heller, der des anderen dunkler honigfarben.
    „Komm schon, Oskar. Myra hat den meisten Bernstein gefunden, den du verarbeitest. Sie verkauft ihn dir zu einem Spottpreis. Da bekomme ich doch Sonderkonditionen?“ Sie legte den Kopf schief und schenkte ihm ihr bestes Lächeln.
    Oskar bemerkte wohl, dass die Sonne Hennys lange rotbraune Locken mindestens so zum Leuchten brachte wie den Bernstein, aber er ließ sich nicht ablenken.
    „Du bist aber nicht Myra.“
    „Wir sind fast Schwestern.“
    „Nachbarinnen, Henny, Nachbarinnen. Willst du das Schiff oder nicht?“
    Sie wollte das Schiffchen wieder zurückstellen, doch sie konnte sich nicht davon trennen. Sie hatte das dringliche Gefühl, dass es zu ihr gehörte. Dass es Unglück bringen würde, wenn sie es nicht mit sich nahm, ja dass sie es brauchen würde.
    Immerhin hatte sie letzte Woche eines ihrer Aquarelle an einen Touristen verkauft, zu einem, wie sie fand, unverschämt hohen Preis.
    „Woher hattest du die Idee? Du hast doch sonst immer nur Schmuck gemacht, nichts zum Hinstellen?“, fragte sie, während sie im Stillen rechnete.
    „Ja, das war seltsam“, erklärte Oskar bereitwillig. Die Gelegenheit zu einer Geschichte ließ er nie aus. „Ich war neulich am Weststrand, bei Morgengrauen, nach dem Sturm. Dachte, es kann nicht sein, dass immer nur Myra die besten Bernsteinstücke findet.“
    „Sie hat nun mal ein Gespür dafür. Ich glaube, sie riecht sie sogar.“
    „Muss wohl so sein. Ich habe nur drei längliche Stücke in einem Tangklumpen gefunden, kaum brauchbar. Ich bückte mich danach, und als ich mich aufrichtete, saß der Claas auf dem Ende der Buhne. Direkt vor meiner Nase!“
    Überrascht lachte Henny auf. „Der Sturmflut-Claas? An den glaubst du nicht wirklich?“
    „Bis zu dem Augenblick bestimmt nicht. Seemannsgarn, dachte ich immer. Hab ich schon als kleiner Bengel nicht geglaubt, die Geschichten. Dass der vor Sturmfluten warnt, seit hundert Jahren oder mehr. Dass er einer ist, der in so einem Sturm ertrunken ist.“
    „Myras Vater behauptet, er hätte ihn in der Nacht gesehen, ehe der Krieg anfing“, erinnerte sich Henny.
    „Die Rieke von der Räucherei meint sogar, er hätte ihren verlorenen Ehering aufgefischt. Und Touristenkinder sollen erzählt haben, dass er sie zurück an den Strand geschoben hat, als ihr Boot abtrieb. Aber ich habe nichts geglaubt, nichts, bis der da vor mir saß. In langer leinener Hose!“ Oskar paffte aufgeregte Rauchwolken unter das Marktstanddach.
    Henny hörte auf, über ihre Finanzen nachzudenken.
    „Was hat er gemacht?“
    „Angesehen hat er mich. Und dann hat er gesagt, Oskar, hat er gesagt, die Bernsteine sind zwar nicht groß, aber du kannst Schiffe daraus machen. Drei Schiffe mit silbernen Segeln.“
    „Der hat mit dir gesprochen?“
    „Hat er.“ Oskar nickte nachdrücklich. „Erst dachte ich, es sind die Wellen an der Buhne, der Wind – aber es war kein Wind, es war still, wie immer nach Sturm. Kaum ein Plätschern, nichts. Er sprach mit mir. Fast habe ich die Bernsteine fallenlassen.
    ‚Bist du der Claas?‘, habe ich ihn dann gefragt.“
    Henny unterdrückte ein Kichern. „Woher wusstest du, dass er nicht irgendein Tourist mit seltsamen Badehosen war, der früh schwimmen ging?“
    Kaum zu glauben, Oskar wurde rot unter seinem buschigen Bart.
    „Er ... der war nicht ganz ... also, er war sozusagen durchsichtig. Ein bisschen. Ich konnte den Horizont sehen. Auch hinter ihm.“
    „Oskar – kann es nicht sein, dass du in der Sturmnacht davor ein paar Glas Grog getrunken hast? So zum Aufwärmen?“
    „Natürlich hab ich das. Wer nicht? Das mache ich in jeder Sturmnacht. Aber ich habe hinterher noch nie einen Claas gesehen. Oder sonst was! Mich trinkt keiner unter den Tisch, Mädel, das weißte wohl!“ Oskar war gekränkt.
    „Und was hat er gesagt?“, beeilte sich Henny zu fragen.
    „‚Ja, ich bin der Claas, und du könntest drei Schiffe machen, Schiffe mit silbernen Segeln und dem Leuchten einer alten Sonne im Herzen.’
    ‚Das werden aber sehr kleine Schiffe’, habe ich gesagt.
    ‚Es ist gut so. Sie werden mehr tragen können, als du weißt. Sie werden dies und jenes mit dem Wind fort und auch wieder her tragen,

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