Das Meer in deinem Namen
bekommen.“
„Und einen Sack Kartoffeln und eine Dose Kaffee“, sagte Myra, die den letzten Satz mitgehört hatte. Sie stand auf, klopfte den Sand von ihrem Rock und strich sich eine aus ihrem Zopf entwischte blonde Strähne hinter die Ohren. Dass sie Mutter war und acht Jahre älter als Henny, sah man ihr nicht an, fand Henny. Myra sah jung aus und glücklich.
„Das war zwar nicht geplant, aber das Beste, was mir passieren konnte. Er hatte unglaublich blaue Augen, aber ich brauche keinen Mann, der mir sagt, wo’s langgeht.“ War das ein mitleidiger Blick, mit dem sie Henny streifte?
Alle drei sahen dem Kind nach, das jetzt im Sonnenglitzern die Wellen entlang tanzte, sich bückte und mit dem Finger Bilder in den Schaum malte, der auf dem Sand trocknete.
Henny fischte nach dem Päckchen in ihrer Tasche, das so wenig wog, dass sie erst glaubte, es verloren zu haben.
„Willst du nicht endlich vernünftige Kleider tragen?“, fragte Myra. „Diese selbstgenähten Baumwollschlabberdinger gehen doch wirklich nicht mehr. Nicholas, rede ihr die aus.“
„Ich denk nicht dran, Petticoats zu tragen. Ich fühl mich gut so. Frei“, sagte Henny.
„Ich will sie genau so haben, wie sie ist“, sagte Nicholas zufrieden, legte ihr fest den Arm um die Schultern.
„Vorsicht! Schaut mal.“
Behutsam schlug Henny das Seidenpapier auseinander. Die Sonne fuhr in die gebauschten silbernen Segel und warf Lichtfunken in alle Richtungen. Henny sah, wie einer über Nicholas’ Stirn fuhr, ein anderer über Myras Nase tanzte.
„Eins für jeden!“, sagte Henny. „Damit wir nie vergessen, wie es jetzt ist. Sie sollen diesen Augenblick für immer in sich bewahren.“
Sie überreichte Nicholas feierlich das eine winzige Gefährt und gab ihm einen Kuss dazu, salzig vom Wind, der plötzlich stärker wurde.
Den Schatten, der für einen Moment den Bernstein von innen heraus verdunkelte, als sie das Schiff in Nicholas’ Hand legte, bemerkte sie nicht.
Das andere gab sie Myra mit einer festen Umarmung.
„Wunderschön!“ Myra hielt es gegen den Himmel, der sich zusammen mit ihrem Gesicht in der kleinen Wölbung spiegelte, mit winzigen Wolken, die im Inneren des Rumpfes umherhuschten wenn sie es bewegte. „So fein gearbeitet!“
„Ja, ich wusste auch nicht, dass Oskar das kann. Er muss irgendwie ... inspiriert gewesen sein.“ Henny schmunzelte.
„Wirklich schön“, staunte auch Nicholas. „Danke, mein Schatz. Aber war das nicht viel zu teuer?“
„Ach was. Sie sollen unsere Glücksbringer sein und uns für immer begleiten. Die Zeiten werden besser und besser. Es werden mehr Touristen kommen und sie werden unsere Bilder kaufen. Wir zeichnen ihre Sehnsüchte, die sie in ihre kaputten Städte mitnehmen, um darin Mut zu finden. Wir werden genug verdienen und können uns im Garten ein Atelier bauen. Wenn wir verheiratet sind, werden unsere zwei Schiffchen zusammen auf der Fensterbank stehen, über das Meer schauen und unsere Träume beschützen.“
„Ein schöner Gedanke. Vielleicht können wir uns dann sogar eine Hochzeitsreise leisten. Mit einem richtigen Schiff. Dorthin wo es warm ist?“ Nicholas umfasste sie von hinten und sie lehnte sich an ihn.
„Wenn du möchtest. Ich brauche das nicht. Ich will nirgendwo anders sein als genau hier. Lass uns unsere Erinnerungen an diesen Augenblick, wie er jetzt ist, in die Laderäume unserer Schiffe füllen. Dort im Bernstein ist alles für immer sicher aufgehoben und kann uns in dunklen Stunden leuchten. Das funkelt immer noch, wenn wir alt sind.“
„Da passt aber nicht viel rein.“ Nicholas lachte über ihre Fantasien.
„Du wirst dich wundern.“ Sie löste sich aus seiner Umarmung und stupste ihm einen tadelnden Zeigefinger auf die Nase. „Ich lege das Gelb vom ersten Löwenzahn und den Geruch vom Frühlingswind in mein Schiff, zusammen mit dem Geschmack von den Wellen heute. Ein Lachen von Liv und die Sandburg, die Myra für sie gebaut hat. Einen Kuss von dir und die Art, wie du die Stirn in Falten legst, wenn du über die Verrücktheiten nachdenkst, die ich erzähle. Den Traum, den ich heute Nacht von unserem zukünftigen Atelier hatte, und die Idee für eine bestimmte Zeichnung, die mir noch nie gelungen ist. Einen Sanddornbusch von der Steilküste und ein Stück Treibholz vom Weststrand. Ach, und noch so vieles ...“
„Das könntest du alles auch auf ein Bild malen, dann könnte ich es sehen.“ Nicholas waren die Wege manchmal unheimlich, die Hennys
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