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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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hängt, lebt Naurulokki wieder, dann hat es seine Würde zurück.“

    Carly speicherte, schickte die Blogadresse an Orje und an Miriam und schloss den Computer. Ihr Magen knurrte. In der Küche suchte sie nach einem Dosenöffner, fand ihn in einer Schublade zwischen Pinseln. Es dauerte ein wenig, bis sie hinter seine eigenwillige Mechanik kam, aber sie rauften sich zusammen und es gelang ihr, die Dose gebackene Bohnen zu öffnen, die sie so gern mochte, wenn es schnell gehen sollte. Während die Bohnen in einem schmiedeeisernen Topf auf dem Herd köchelten, sah sie sich nach einem Gewürzregal um, entdeckte es in einer Nische neben einem Schrank. Salz – sie übersalzte ihr Essen grundsätzlich, behauptete Orje – und Paprika fischte sie vom obersten Brett und bemerkte dann erst, dass auf dem unteren nicht nur gerebelter Majoran, Curry und Schabzigerklee zu finden waren, sondern, ordentlich daneben aufgereiht und in derselben Größe wie die Gewürzgläser, Farbdosen standen. Blau, Weiß, Grün, Braun.
    Carly zog die beiden kleinen Schubladen unter dem Regal auf und wunderte sich schon nicht mehr, dass die eine mit Muskatnüssen und Zimtstangen und die andere mit Pastellkreiden und Kohlestiften gefüllt war.
    Henny hatte ihr Leben mit Farben gewürzt.
    Die Pastellfarben zogen Carly an. Wie gern hatte sie früher mit bunter Kreide im Garagenhof auf die Pflastersteine gemalt – und Tante Alissa hatte alles mühsam mit dem Schlauch wegspritzen müssen. Unter einem Stapel alter Exemplare der Ostsee-Zeitung sah sie einen Zeichenblock mit Teeflecken an der Seite. Während sie am Küchentisch ihre Bohnen löffelte, probierte sie mit der anderen Hand gedankenverloren die Kreiden aus. Keine Formen, nur Farben, die man verreiben, mit dem Finger ineinander verwischen konnte. Am Ende sah es fast aus wie der Himmel, so wie aus dem Fenster oben, hinter dem grünen Kiefernstreifen am Deich. Nicht unzufrieden zeichnete Carly mit einem Kohlestift ganz klein die Schwalbe hinein, die in ihrer Hand gesessen hatte, als ferne Silhouette vor den Wolken.

    Sie lehnte ihr Werk an die Wand, stellte den Teller ungewaschen in die Spüle und nahm den weißen Farbtopf und zwei verschieden harte Pinsel mit hinaus auf die Terrasse vor dem Fenster. Sie lag geschützt inmitten diverser verwilderter Büsche. Eine eigenartige Umzäunung umgab sie: lauter einzeln eingesetzte runde Holzbalken, bizarr verwitterte Pfeiler, die in ungleicher Höhe aufragten und oben dünner wurden. Sie waren von Löchern durchsetzt, in denen Muschelschalen steckten und runde weiße Erhebungen, die vermutlich auch einmal lebendig gewesen waren. Es wirkte entfernt wie ein eigenartiges Stonehenge.
    Carly betrachtet das Brett, das immer noch über den Armlehnen des Stuhls lag, auf den es Jakob Hellmond gelegt hatte. Verkrusteter Schlamm füllte die geschnitzten Buchstaben. Mit dem härteren der Pinsel begann sie sorgfältig, Rille für Rille zu säubern.

    „Hallo!“, sagte eine leise Stimme.
    Carly zuckte zusammen, sah auf. Im Eingang zur Terrasse, dort wo ein Pfeiler weggelassen worden war, stand das zierliche Mädchen mit den kurzen blonden Haaren, das sie von Weitem auf dem Nachbargrundstück gesehen hatte. Das Mädchen mit dem „Hicks“ am Ende ihres Lachens, das vor vielen Jahren einmal jemand anderem gehört hatte. Sie trug etwas in der Hand und sah Carly mit großen Augen unter zu langen Ponyfransen unschlüssig an.
    „Hallo!“ Carly lächelte sie an. „Bist du Anna-Lisa?“
    Das Mädchen nickte, kam zögernd einen Schritt näher.
    „Hier“, sagte sie und legte etwas auf den Tisch. „Henny mochte so was, ich dachte, Ihnen gefällt es vielleicht auch.“
    Es war ein dunkles Stück Treibholz, armlang, gebogen, am Ende ausgefranst. Entfernt sah es aus wie ein Pferd im Wind, mit Augen und Mähne.
    „Das ist aber hübsch.“ Carly strich mit dem Finger darüber. „Du vermisst Henny, nicht?“
    Anna-Lisa nickte und sah zu Boden, der Pony fiel über ihre Augen. Es musste ihr ähnlich gehen wie Carly mit Teresa. Der Gedanke an Teresa tat immer noch weh, jeden Tag. Aber Carly war erwachsen. Mit dreizehn ist alles so viel schwerer.
    „Hast du das da auch gefunden?“ Carly wies mit dem Pinsel auf das kugelfischähnliche Holzstück in der Küche, das Henny hatte glauben lassen, Joram Grafunder sei noch am Leben.
    „Ja, ich hab es ihr vor die Tür gelegt. Als Überraschung. Sie war immer so traurig, seit Joram weg war.“
    Weg. Sie hatte nicht „tot“

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