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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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sie Nicholas’ Wärme im Rücken gespürt, seine Stimme in ihr Ohr geflüstert hatte, und sich Livs Lachen mit Myras mischte, während Nicholas und Henny sich küssten und Salz und Frühling schmeckten. Ganz tief im Inneren des Schiffes flüsterte ein Echo der sanften Wellen jenes Tages, doch es wurde von dem Toben draußen verschluckt.

Carly
1999

13. Nach der Geisterstunde
     

    Carly wachte zitternd auf. Der Wind rauschte tatsächlich in der ungebrochenen Schwärze draußen, der man in der Stadt nicht begegnen kann. Die Decke war auf den Fußboden gerutscht. Sie schloss das Fenster gegen die Erschütterung der Böen, stolperte die Treppe hinunter und wickelte sich in Hennys Jacke. Weckte den Herd, stellte den tröstlichen Teekessel darauf. Irgendwo zwischen den Farbdosen hatte sie Kamillentee gesehen – ja, da.
    Nachdem sie sich eine Zeitlang mit beiden Händen an die heiße Tasse geklammert hatte und die Wärme in ihrem Magen die Kanten der Angst löste, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Handy. Sie musste Ralph anrufen. Jetzt! Ein Blick auf die Uhr zeigte anderthalb Stunden nach Mitternacht. Und wenn schon. Sie war ihrem Bruder seit über zehn Jahren so gut wie nie auf die Nerven gegangen. Die dafür nötige Nähe hätte er nicht zugelassen. Christiane schon gar nicht.
    Carly kuschelte sich in den abgewetzten Sessel in der Bibliothek neben die Schmetterlingslampe mit dem goldgelben Schein. Die Nähe von Büchern tat gut, beschwor für sie Thores Nähe herauf.
    Sie ließ es hartnäckig klingeln, stellte sich vor, wie Ralph im Bett die Decke über die Ohren zog, während Christiane endlich murrend in ihrem spitzenbewehrten französischen Nachthemd die Treppe herunterschwebte und das Telefon vom staubfreien Designertisch hob.
    „Hallo?“ Erwartungsgemäß klang Christianes Stimme so spitz wie ihre künstlichen Fingernägel.
    „Hier ist Carly. Entschuldige, aber ich muss Ralph sprechen.“
    „Weißt du, wie spät es ist?“
    „Ralph hat mir vor dreiundzwanzig Jahren beigebracht, die Uhr zu lesen.“ Christiane weckte stets ihre schlechtesten Seiten.
    Wenigstens war der Empfang nachts offenbar besser.
    „Ist jemand gestorben?“, fragte Christiane sarkastisch.
    „Heute nicht. Bitte gib mir trotzdem meinen Bruder.“
    Im Hintergrund hörte sie Ralph. „Christiane? Was’n los?“
    „Deine durchgeknallte Schwester. Vielleicht hättest du ihr nicht nur das Lesen der Uhr, sondern auch Benehmen beibringen sollen. Ich gehe schlafen! Wenn ich noch kann.“
    „Carly? Was ist passiert?“
    „Nichts. Ich hatte einen schlimmen Traum. Warum hast du geweint, neulich am Gartentor?“
    Früher, ganz früher, ehe die Welt sich änderte, war sie nach bösen Träumen in sein Bett gekrochen und er hatte alles verscheucht, was noch davon in ihr herumirrte. Daran erinnerte sie sich. Aber das war nicht der Grund, warum sie ihn angerufen hatte. Sie brauchte eine Antwort.
    Er erinnerte sich auch.
    „Vielleicht, weil du nicht mehr in mein Bett krabbelst?“
    „Ralph, bitte. Es ist wichtig!“
    Sie hörte, wie er irgendwohin lief und die Tür hinter sich schloss. Wahrscheinlich die Küche. Etwas klapperte.
    „Suchst du jetzt Krabben im Kühlschrank?“
    „Keine da. Nur Petit Fours.“ Sie hörte förmlich, wie er die Nase rümpfte. Er mochte nichts Süßes. An Nikolaus hatte Tante Alissa Pfefferchips und Käsewürfel in seinen Stiefel gefüllt.
    Ein Stuhl scharrte; sicher legte er jetzt die Füße auf die Heizung, die noch gar nicht an war. Christiane hasste diese Angewohnheit.
    „Ralph.“
    „Carly, ich ... du warst auf einmal so weit weg. Nicht nur, weil ich wusste, wo du hinfährst. Sondern davor. Die Jahre, alle. Wir sind uns so fremd geworden. Das hat plötzlich wehgetan. Ich weiß nicht, was du machst. Was du denkst. Ich weiß gerade nicht mal, was ich denke. Christiane, und ... ach, das ist alles so merkwürdig und so kompliziert. Ich kann dir das nicht so eben in der Geisterstunde am Telefon erklären.“
    „Die Geisterstunde ist längst vorbei. Du hast also auch Fragen unter dem Teppich!“
    „Wie bitte? Was für ein Teppich?“
    „Ist jetzt nicht wichtig. Benutzt du manchmal das Internet?“
    „Klar. Börsenkurse und so.“
    „Wenn du wirklich wissen willst, was ich denke, kannst du das nachlesen, hier ...“; sie nannte ihm die Blogadresse, die bisher nur Orje und Miriam kannten. Auf Ralph war sie bisher gar nicht gekommen.
    Aber es ging ihn etwas an. Es war derselbe Teppich.
    „In Ordnung. Sehr

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