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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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hatte nichts gewonnen, dafür aber sage und schreibe all ihre drei ausgestellten überdimensionalen Blumenbilder verkauft. Sie strahlten eine geradezu unverschämte Kraft aus, ein Leuchten, das den Menschen in der Nachkriegszeit offenbar wohltat.
    Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse hatte Henny Nicholas im Gewühl aus den Augen verloren. Sie sah ihn noch unter der schrägen Kiefer auf der Düne stehen, in seinem blauen Pullover, erst im Gespräch mit irgendwem, dann allein. Sie hatte auf dem Weg zu ihm bestimmt hundert gratulierende Hände schütteln müssen, und als sie die Kiefer erreicht hatte, war er fort und blieb verschwunden. Nachmittags lief sie sogar ins Ahrenshooper Holz, weil sie wusste, er ging oft in den Wald, wenn er nachdenken wollte. Doch auch dort fand sie ihn nicht.
    „Lass ihn in Ruhe!“, riet Myra. „Der braucht manchmal Zeit für sich.“
    „Aber warum heute? Es gib doch so viel Grund sich zu freuen! Wir haben alle drei Erfolge! Da muss man sich doch zusammen freuen!“ Henny verstand die Welt nicht mehr.
    Myra öffnete den Mund, besann sich eines Besseren und schloss ihn wieder. „Ich will im Katen aufräumen helfen“, sagte sie. „Und du geh nach Hause. Der taucht schon wieder auf.“
    Henny folgte ihrem Rat, doch sie fand keine Ruhe. Stundenlang saß sie auf der Fensterbank und hielt nach ihrem Verlobten Ausschau. Wie die Frauen früher, dachte sie, die aufs Meer starrten und darauf warteten, dass die Schiffe zurückkamen, mit denen ihre Männer hinausgefahren waren, monatelang manchmal. Es war Tradition, zwei bunte Keramikhunde an das Fenster zu stellen. Schauten sie nach außen, voneinander weg, hieß es, dass der Hausherr auf See war. Schauten sie einander an, bedeutete es, dass der Mann zurück war und man ihn besuchen konnte, bevor er wieder fort musste. Manche der Keramikhundepaare drehten sich für immer den Rücken zu, weil wieder einmal ein Schiff verschollen oder gesunken war.
    Die Frauen starrten trotzdem weiter aufs Meer, weil immer das Gefühl blieb, dass im nächsten oder übernächsten Moment das ersehnte Schiff am Horizont auftauchen oder das Gartentor unter einer festen Hand aufschwingen würde.
    Immer wieder einmal tauchte ein Verlorengeglaubter tatsächlich auf, nach einer Ewigkeit noch.
    Die Sonne rutschte unter schweren Sturmwolken hervor, warf einen schwachen rötlichen Strahl in Hennys Fenster. Die silbernen Segel fingen das Licht und glühten im selben Rot. Der honiggoldene Bernsteinrumpf hätte ebenfalls aufleuchten müssen. Doch er blieb dunkel, als wäre das Grau des Nachmittags dauerhaft in ihm eingeschlossen.
    Henny hielt es nicht mehr aus. Sie lief zum Strand. Vielleicht ging Nicholas dort spazieren. Obwohl es unwahrscheinlich war bei diesem Wetter, da er doch Kälte so hasste.
    Was war nur los mit ihm, nun, da sie das Geld für die von ihm ersehnte Reise in den Süden beisammen hatten?
    Als sie über die Dünen war, war die Sonne bereits untergegangen. Henny kämpfte sich vorwärts, nur weil sie nicht umkehren wollte. Dass Nicholas hier jetzt herumwanderte, in Gedanken vertieft oder auf der Suche nach einem Motiv, glaubte sie nicht. Sie wollte dem fremden Gefühl von Unheil davonlaufen, das in ihr anstieg wie die Sturmflut.
    Doch da war wirklich ein Mann! Größer als Nicholas und in einen Umhang gehüllt kam er ihr entgegen. Als sie auf gleicher Höhe waren, fasste er sie an den Schultern. Seltsamerweise machte er ihr keine Angst. Sie sah in helle Augen, denen sie vertraute.
    „Geh nach Hause! Aber oben, auf der anderen Seite des Deichs! Das ist ein übler Wind heute und man kann den Wellen nicht trauen, die er sät! Geh, Kind!“
    Sie kannte ihn nicht, meinte aber, seine imposante Gestalt schon einmal auf dem Hafenfest in Prerow gesehen zu haben. Einer von der Seenotrettung vielleicht, der die Menschen lieber warnte, bevor er sie aus dem Wasser ziehen musste.
    Erst zuhause, als sie in ihrem Zimmer das nasse Kleid auszog, fiel ihr Blick auf Cord Kreyhenibbes Gemälde und sie fand, dass der Mann vom Strand mit dem Umhang genauso aussah wie der, der am Fuß des Leuchtturms stand.
    Wie hatten die Frauen wohl früher ihre Männer erkannt, wenn sie bei üblem Wetter heimkehrten?
    Wenn sie heimkehrten.
    Wo nur war Nicholas?
    Auf nassgeweintem Kopfkissen schlief Henny nach Mitternacht ein, die Freude über ihren ersten Platz längst vergessen. In der Hand hielt sie das kleine Schiff. Im Dunkeln glänzte es nicht mehr, aber in ihm war der Moment geborgen, in dem

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