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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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hatte ja ihren Computer holen wollen, als die Schwalbe sie abgelenkt hatte. Das Blau, in das die Schwalbe aufgestiegen war, lockte. Carly nahm den Computer mit nach draußen. Auf der kleinen Terrasse vor der Küche stand ein geeigneter Tisch, und das Kabel war zum Glück lang genug, um es durch das offene Fenster zu legen.
    Sie hatte schon die Hände auf der Tastatur, als ihr Handy piepte. „Irgendwann musst du ans Meer gehen!“ , schrieb Orje.
    Natürlich. Er kannte sie gut genug, ahnte, dass sie dazu noch keine Zeit ... na schön, keinen Mut gehabt hatte, obwohl das nahe Rauschen zu ihr sprach, und der hohe Himmelsbogen, der hinter den Dünen so leuchtend anders war.

    Ein Blog braucht eine Überschrift, ein Thema. Carly dachte kurz nach und schrieb dann:
    Ausflug unter den Teppich
    Ich nenne das Blog so, nicht weil ich hier den Tod treffen werde, von dem ich als Kind annahm, dass er dort wohnt, sondern weil Tante Alissa noch viel mehr unter den Teppich gekehrt hat. Die Erinnerungen an unsere Eltern, Ralphs kalte Distanziertheit, meine Fragen nach dem Meer und das Tabu, mit dem sie das alles belegte. Die Frage, ob sie uns überhaupt haben wollte. Und warum sie in der viel zu kleinen Hauswartwohnung blieb, die Treppe fegte und früher noch Kohlen schaufelte, obwohl sie als Wissenschaftlerin gut verdiente.
    Diese Fragen wird mir hier niemand beantworten, aber wenigstens ist hier Platz für Fragen. Hier können sie sich austoben, mangels Teppich. Und die neuen Fragen gleich dazu, ehe ich es genauso mache wie Tante Alissa. Vielleicht finde ich heraus, was ich mit dem Rest meines Lebens machen möchte. Tante Alissa war froh, dass ich mich mit Astronomie beschäftigt habe, denn was könnte weiter weg vom Meer und somit sicherer sein als die Sterne?
    Und ich – was will ich?
    Hier auf Naurulokki – so heißt das Haus und das Grundstück, es bedeutet Lachmöwe, aber ich weiß nicht warum – kommt mir alles groß vor, obwohl es klein und gemütlich ist, gerade richtig eigentlich. Hier merke ich erst, wie beengt wir gewohnt haben. Hier ist Luft zum Atmen und zum Denken – oder ist es nur, weil die Luft so sauber ist? Im Moment ist mir, als ob ich es nie wieder ertragen könnte, den zähen Dunst von Berlin oder irgendeiner anderen Stadt zu atmen.
    Das Einzige, was mir von Berlin gerade fehlt, sind die Töne von Friederike.
    Nein, Orje, ich war noch nicht am Meer. Ich muss mich erst zurechtfinden. Ich habe doch auch einen Job zu erledigen. Das Schlimme ist, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Das Haus ist nicht leer, es ist nicht einmal unbewohnt. Die Menschen, die hier waren, sind fort und trotzdem sehr anwesend. Hier gibt es keinen Teppich, unter dem etwas verschwindet. Sie haben die Hinweise auf sich ungeniert herumliegen oder -stehen oder -hängen lassen. Es erscheint mir nicht richtig, sie umzuräumen, zu sortieren, zu verkaufen, wegzugeben. Aber ich muss, oder? Es kommt nicht in Frage für mich, Thore zu enttäuschen. Und es wäre ein Alptraum, wenn irgendein anonymes Umzugsunternehmen oder ein Räumungsdienst hier in ein paar Stunden alles zusammenraffen und entsorgen würde. Ich fühle mich verantwortlich dafür, dass hier nichts – verletzt wird. Das macht wenig Sinn, oder?
    Ich werde einen Anfang finden, mich durchfummeln. Als wir Handarbeiten machen mussten, habe ich nie auch nur einen Topflappen zustande gebracht, aber ich war groß darin, verwirrte Fadenknäuel neu aufzuwickeln.
    Am besten fange ich ganz von vorn an. Gestern habe ich das Namensschild gefunden, das über das Gartentor gehört. Ich werde es streichen und wieder aufhängen und mich dann durch den Garten und Raum für Raum voranarbeiten. Ich kann aber nicht sagen, wie schnell das geht, denn es liegen überall Bruchstücke von Geschichten herum, Hinweise auf Henny und ihren Joram. Es geht mich nichts an, und doch habe ich das Gefühl, zu Recht neugierig zu sein (Jetzt weiß ich auch, warum es neuGIERIG heißt).
    Tante Alissa behauptete damals, ein Meteorit sei Post vom Himmel. Ich habe sie nie so recht lesen können. Aber Hennys Zettel und Bilder, Jorams Briefe und Möbel, das ist wie Post, die ich lesen kann – und irgendwie habe ich das Gefühl, es ist wichtig, dass ich es tue. Für sie, für mich.
    Und was die Antworten angeht – vielleicht finde ich hier doch welche, auch auf die alten Fragen. Es ist durchaus möglich, dass einige davon im Meer schwimmen.
    Nun muss ich in den Keller, Farbe suchen, für das Schild. Wenn das Schild

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