Das Meer in deinen Augen
wollen. »Darf ich vorstellen: Frau Drews. Sie ist von der Friedrich-Wilhelm-Hochschule und wird euch heute dabei helfen herauszufinden, welche Ausbildung oder welches Studium die richtige Wahl für euch ist«, stellte ihre Klassenlehrerin sie vor.
»Scheiße, das ist ja noch nerviger als diese bescheuerten Projekttage.« Lilly stöhnte, klappte den Block zu und holte ihr Handy wieder hervor.
»Ich möchte euch alle bitten, auf einen Zettel zwei Berufe zu schreiben. Einmal euren Wunschberuf und dann einen Beruf, den ihr meint, erreichen zu können.« Es wurde laut. Überall fingen Gespräche an. »Ruhe, bitte! Etwas mehr Respekt vor unserem Gast!«, rief ihre Lehrerin gegen den Lärm an. Frau Drews lächelte weiter, als könne sie nichts aus der Ruhe bringen.
»Was soll uns das bringen?«, fragte Lilly, als Emma ihren Block aufschlug und einen Stift aus dem Etui suchte. Sie gab durch ihr Schulterzucken zu verstehen, dass sie nicht weniger ratlos war. Schauspiel, Ausdruck, Musik, darin wirklich gut zu werden – zu den Besten zu gehören –, der Gedanke gefiel ihr. Doch die Aufnahme an einer Schule für Tanz und Gesang wäre nur die erste Hürde. Sie wusste, wie viele noch danach scheitern. Wenn sie das aufs Blatt schreiben würde, wäre es nicht mehr als eine Worthülse, leer wie eine Seifenblase, die schnell zerplatzt. Lieber behielt sie ihren Traum für sich. Ein paar fleißige Schüler in der ersten Reihe schrieben etwas. Streber. Wahrscheinlich wussten sie schon genau, was sie werden wollten. Ingenieure, Grundschullehrer, Ärzte, Chemiker. Irgendwas, das am Ende alle werden. Emmas Finger verkrampften sich um ihren Stift. Er schwebte knapp über dem blanken Blatt Papier. »Seien Sie mutig!« Das war die fremde Frau, die durch die Reihen ging und von oben auf ihre leeren Zettel schaute. Lilly schrieb immer noch SMS . »Vergiss den Scheiß doch«, flüsterte sie Emma zu. Sie hörte auf ihre Freundin und gab auf. Stattdessen drehte sie sich nach Luka um. Der lachte nur mit Benjamin, über einen Spruch von Finn. Dachte er überhaupt an sie? Inzwischen hatte Frau Drews ihre Runde beendet und stand vor ihnen an der Tafel. »Wie ich gesehen habe, ist das Papier bei vielen von euch leer geblieben. Etwas anderes habe ich nicht erwartet.« Ihr Lächeln sollte scheinbar etwas wie Zuversicht ausstrahlen. Wenig davon kam an. »Ihr seht, dass es gar nicht so leicht ist, einerseits dazu zu stehen, was man gerne machen möchte, und andererseits einzuschätzen, was die eigenen Stärken möglich machen.« Das Gemurmel wurde lauter. Finn machte noch einen Spruch, der in der letzten Reihe Gelächter auslöste. »Ich schätze deinen Mitteilungsdrang sehr«, bemerkte ihre Klassenlehrerin spitz. »Aber jetzt wollen wir doch lieber hören, was Frau Drews euch zu sagen hat. Das könnte auch für dich interessant sein, Finn.«
»Was hast du denn aufgeschrieben?«, fragte die Berufsberaterin.
Finn faltete den Zettel zusammen. Zu spät. Frau Drews war wieder durch die Reihen geschritten und nahm ihm das Blatt Papier aus der Hand. »Profiboxer oder Polizist«, las sie vor.
»Ich war wirklich mal ziemlich gut«, murmelte Finn. »Aber ich bin schon länger raus. Verletzungen und so. Man muss wirklich dabeibleiben, auch wenn es weiter ’ne klasse Sache und ein echter Traum ist. Man kann nur verlieren oder gewinnen. So was mag ich«, erklärte er hastig.
Frau Drews Lippen wurden etwas schmaler, doch das Lächeln verschwand nicht. »Mutig, Finn.«
Ein paar Mädchen kicherten und Finn konnte nicht verbergen, dass er rot wurde.
»Und warum Polizist?«
»Das ist mein Vater auch. Und gut draufhauen muss man da ja auch können.« Das selbstbewusste Grinsen war zurück auf Finns Gesicht. Emma schaute sich zu Lilly um, die schmunzeln musste.
»Nun, vielleicht solltest du dich da noch mal etwas besser informieren. Aber für den Anfang gar nicht schlecht.« Frau Drews war wieder vorne an der Tafel angekommen. »Ich will nicht, dass ihr alle hier vorlesen müsst, was ihr aufgeschrieben habt. Das ist keine Mutprobe. Ihr sollt euch schließlich selbst etwas beweisen …« Emma schaltete ab. Das waren wieder leere Worte. Stattdessen konnte sie nicht anders, als erneut zu Luka zu schielen. Wieder kein Blickkontakt. Sie musste aufhören, nur an ihn zu denken.
Ihr Vorsatz war spätestens vergessen, als sie in der Pause auf Toilette ging und an den Waschbecken neben Jenny und deren Freundin Lena stand. Sofort bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde.
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