Das Meer in deinen Augen
mähen und seinem Vater helfen, die große Tanne im Garten zu fällen. Bei der glühenden Hitze eine schweißtreibende Aufgabe, doch hoffentlich Beweis genug, dass er sich das Ferienhaus verdient hatte.
»Und morgen? Das ist der letzte Schultag. Der muss legendär werden«, hakte Finn erwartungsvoll nach. »Ihr wollt mich doch nicht im Stich lassen.«
»Ich hab meinen Eltern versprochen, mit auf diesen Charityball zu gehen«, erklärte Benjamin, der auch das in der Absicht tat, ihren Urlaub zu sichern. Deshalb nahm er auch Jenny mit. Das würde seinen Eltern gefallen.
»Scheiße, Mann, tu mir das nicht an.« Finn stöhnte und rüttelte an seiner Schulter.
»Doch«, gab er genervt zurück.
»Und du , Luka?«
Luka schwieg und bemühte sich, so zu tun, als ob er Finns Frage überhört hatte.
»Du triffst dich mit Emma. Hab ich recht?«
Luka schwieg und schaute sich die Bilder an der Wand an, die irgendwelche Schüler im Kunstunterricht gemalt hatten. »Nagel ich halt wieder ihre Freundin.«
Ein paar Mädchen, die das Gespräch gehört hatten, sahen sich misstrauisch nach ihnen um.
»Kannst du auch mal die Fresse halten?«, fuhr Benjamin ihn an. Eigentlich sollte es ihm scheißegal sein. Aber er wollte nicht, dass ihn jemand für einen Proleten wie Finn hielt.
»Und? Wie war es?«
»Was?«, fragte Emma nach, während sie ihren Spind aufschloss und das Geschichtsbuch im Schrank verstaute. Sie hatte keine Lust auf die Hausaufgaben. Vergangenheit, das war nichts, womit sie sich momentan lange beschäftigen wollte. Emma ahnte bereits genau, worauf Lilly hinauswollte.
»Ist er gut?«
»Noch mal. Er hat mich nur nach Hause gebracht«, antwortete Emma genervt und verriegelte den Schrank wieder. Das ging jetzt schon die ganze Woche so.
»Klar …«, meinte Lilly sarkastisch. Emma konnte an dem vorwurfsvollen Unterton erkennen, dass Lilly ihr nicht glaubte. »Ich bin nicht so«, entgegnete Emma. »Und er auch nicht«, fügte sie entschieden hinzu und ging voraus.
»Die ganze Schule redet über euch. Man könnte meinen, ihr wärt zusammen und wisst es selbst noch nicht.«
»Ist mir doch egal, was die denken.«
»Also sag schon. Ging da noch was?«
»Wie war’s denn mit Finn?« So abfällig hatte sie es gar nicht sagen wollen. Aber Lilly ließ sich nicht provozieren und gab sich gelassen: »Hatte schon bessere.«
Wenn sie diesen eingebildeten Blick aufsetzte, wunderte sich Emma immer, warum sie eigentlich befreundet waren. Insgeheim fragte sie sich ständig, ob ihre Geschichten wirklich stimmten. Vielleicht war es auch nur ein kleiner Funken Neid, noch nicht so weit zu sein. Nur deswegen fragte sie nicht nach. Bist du etwa eifersüchtig?, würde Lilly fragen. Das war nicht der Streit, auf den sie aus war. »Aber ich hatte meinen Spaß«, erzählte ihre Freundin weiter und zuckte mit den Schultern. Das reichte.
»Ich muss los, arbeite nachher noch.« Eine gute Ausrede, um schnell zu verschwinden.
»Hast du morgen nach der Schule schon was vor?«
»Ich weiß nicht, muss noch mal arbeiten.«
»Am letzten Schultag?«
»Mein Chef.« Emma seufzte und schulterte ihre nun leichtere Tasche.
»Danach können wir doch los. Ich hol dich ab.«
»Luka wollte sich melden.«
»Gut. Dann nicht.« Jetzt zeigte Lilly sich doch etwas gekränkt. »Bis dann.« Emma bekam einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dann verschwand sie zum Parkplatz, wo ihr Vater wartete.
4
»Zweimal Latte zum Mitnehmen.« Ein Banker in schwarzem Maßanzug stand Emma gegenüber. Kunden wie er arbeiteten in dem North Bank Tower über der Einkaufspassage und kamen zur Mittagspause in Scharen in die Cafés und Bistros geströmt. Die einfachsten Kunden waren sie nicht. Also alles richtig machen, mahnte sie sich selbst. Er senkte den Blick ungeduldig auf die Uhr und schaute auf, als müsse Emma wissen, wann er sein nächstes Meeting hatte.
»Grande oder Normal?« Sie war verpflichtet, zu fragen. Sonst gab es Ärger vom Chef. Der Mann im Anzug zog die Stirn kraus, als hätte sie sich diese Frage auch sparen können. »Groß.« Emma lächelte. »Einen Moment, bitte.« Zügig stellte sie zwei Becher unter den Kaffeeauslauf und schaltete den Automaten auf Latte Macchiato . – Milch leer! – blinkte es in dem kleinen Display auf. Scheiße, fluchte sie innerlich. Nicht mehr lange, und der Kunde würde sich beschweren. Hastig öffnete sie die obere Klappe, holte eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank und füllte auf. Fast verschüttete sie die Hälfte.
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