Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in deinen Augen

Das Meer in deinen Augen

Titel: Das Meer in deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Goebbels eine Rede im Sportpalast. Der Anfang vom Ende« , kündigte der Sprecher an. Die alte Schwarz-Weiß-Aufzeichnung zeigte Tausende Menschen. Die Arme gestreckt. In gleichen schwarzen Uniformen.
    »Hey, Streberin.« Emma schaute von den Notizen auf und wandte sich zu Lilly um. »Dein Traumprinz starrt dich die ganze Zeit an.«
    Sofort glühten ihre Wangen auf, und sie blickte zu Luka hinüber, der in der letzten Reihe neben Finn und Benjamin saß. Er war ganz auf den Fernseher fixiert, auf dem immer noch der alte Dokumentarfilm lief. Am besten passte sie auch wieder auf, anstatt zu träumen.
    »Du bist ja echt total verliebt.«
    »Bin ich nicht«, reagierte Emma empfindlich, aber genau in diesem Moment trafen sich ihre Augen, und sie vergaß Lilly. Er lächelte, und wieder erinnerte sie sich an jeden Kuss und jede Berührung.
    Sie musste sich zusammenreißen. Emma wandte den Blick ab. Sie hatte das doch immer steuern wollen. Liebe. Dieses Gefühl, das am Ende bloß trügt. Sie durfte sich nicht zu weit vorwagen, solange sie nicht ganz sicher war. Am Ende war es doch nur ein Kuss gewesen. Während sie es zu relativieren versuchte, wurde ihr klar, dass es der erste Kuss überhaupt war, den sie je zugelassen hatte. Aber sie war sich sicher, dass es sich gelohnt hatte zu warten, dass es genau der richtige Zeitpunkt gewesen war.
    Die Gardinen waren zugezogen. Durch den schmalen Spalt konnte man hinausschauen. Der Himmel war ganz blau. Ohne eine Wolke.
    »Weißt du, was ich mich frage?« Lilly riss sie aus der Träumerei.
    »Ja? Was ist?«
    »Ob der Plagge jemals Sex hatte? Der wohnt doch noch bei seiner Mutter. Der geht seit Jahren jeden verdammten Tag zur Schule, dann wieder nach Hause, und da wartet nur eine alte Frau auf ihn, die er nicht vögeln kann.«
    Wie kam sie denn jetzt darauf, rätselte Emma. Nichtsdestotrotz musste sie an den Geschichtslehrer mit seiner Halbglatze denken, der sich gerade das Jackett zurechtrückte. Wie er nach Hause kam und einen Kuss auf die Wange bekam – von einer faltigen alten Frau. Traurig, irgendwie.
    »Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg?« , brüllte Goebbels. Und Jubelstürme brandeten durch die Halle. Das Klassenzimmer blieb stumm. Ein kalter Schauer lief Benjamin über den Rücken. Das Smartphone lag immer noch in seiner Hand. »Wollt ihr ihn wenn nötig totaler und radikaler, als wir ihn uns überhaupt erst vorstellen können?« Benjamin legte das Handy unter seinem Tisch ab und schielte nach rechts und links. In den Augen spiegelte sich das Schwarz und Weiß der Aufnahme. »Und darum lautet von jetzt ab die Parole: Nun Volk steh auf, und Sturm brich los «, endete die Rede. Der tosende Applaus wurde in den Lautsprechern zu einem Rauschen verzerrt. Der kalte Schauer blieb, bis Plagge den Fernseher ausschaltete. Ein letzter Blitz zuckte in der Röhre, dann war das Bild tot. Der Lehrer verschränkte die Hände kurz, um diesen Moment der Stille auszukosten. Erst als der Eindruck sich gesetzt hatte, breitete er die Arme aus wie ein Dirigent, der den Schlussakkord hält.
    »Eine faszinierende Rede, nicht wahr? Ein Meisterwerk der Rhetorik. Schrecklich, ohne Zweifel, aber schrecklich genial. Genau das ist die große Gefahr.« Plagge lief vorne im Klassenzimmer auf und ab, den Blick etwas zum Boden gesenkt. Die Aufmerksamkeit der Schüler hatte er schnell verloren. Die meisten schauten schon auf die Uhr. Plagge setzte gerade zu seinem Schlusswort an, da schellte die Glocke und ließ ihn beim Luftholen innehalten. Statt eines letzten Satzes entfuhr ihm nur ein enttäuschter Seufzer.
    Hastig stopfte auch Benjamin Block und Etui in seinen Rucksack, um so schnell wie möglich nach draußen zu gelangen. »Lest zu Hause die Seiten 120 bis 132 in eurem Geschichtsbuch«, rief ihr Lehrer verzweifelt gegen den Lärm an. Aber das Stühlerücken konnte er nicht übertönen. Als niemand reagierte, schüttelte er bloß resigniert den Kopf.
    »Wer von euch hat Bock auf Kiessee? Bei dem Wetter will ich baden«, fing Finn an, nachdem sie den Raum verlassen hatten.
    »Wozu habe ich einen Pool«, gab Benjamin zurück, um ihn gleich darauf zu enttäuschen: »Aber da wird nix draus.« Seit Tagen ließ ihn die Sorge nicht los, dass seine Eltern sich das mit dem Haus auf Sardinien noch anders überlegen könnten. Auf keinen Fall durften sie die Erlaubnis zurückziehen. Er würde ihnen keinen Grund dafür geben. Im Gegenteil. Besser, er zeigte jetzt seinen guten Willen. Heute würde er den Rasen

Weitere Kostenlose Bücher