Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
Vom Netzwerk:
würde.
    Â»Das ist Katia, sie ist meine Nichte«, sagte Ruth, gar nicht mal unfreundlich, jetzt auch zu Sergej, dem Koch, der wohlwollend nickte und mir seine Pranke reichte. Ich hatte also offiziell eine Tante, so weit war ich schon gekommen, und zum Zeitpunkt dieser Feststellung wurde es auch langsam zu spät, eine allein reisende Nichte guten Gewissens ohne Unterkunft vor die Tür zu setzen. Sie musste nur noch selbst auf diese Idee kommen.

    Â 
    Â»Lizzy, mach mal andere Musik, von der wird man trübsinnig.« Ruth lieferte das Stichwort für einen Versuch der familiären Annäherung meinerseits.
    Â»Mein Vater liebt diese Platte.«
    Sie ging mit keinerlei Regung darauf ein.
    Â»Früher nannte man das Negermusik«, tönte es über den Tisch. »Immer noch besser als deine Schnulzen!«, rief Elisabeth zurück. Heinrich schüttelte gekränkt den Kopf, Sergej grinste und nannte ihn einen alten Nazi, was Gräter heftigst zurückwies, seine Bemerkung sei rein historischer Natur und keineswegs rassistisch gewesen, darauf müsse er bestehen, und es solle bitte auch so zur Kenntnis genommen werden. Im Übrigen sei der Interpret ein Amerikaner weißer Hautfarbe, aber das wisse Sergej als volksrepublikanischer Russe sicher nicht. Ein wildes Durcheinander aus wütenden Protesten und hämischen Bemerkungen brach los, legte sich erst wieder, als Heinrich kleinlaut bemerkte, dass sie ihn doch gut genug kennen würden.
    Ich überlegte, mich bei Ruth zu erkundigen, was sie denn für Musik mochte, wenn nicht diese, aber das war eine Teenagerfrage: Und, was hörst du so?
    Was fragte man eine alte Tante, wenn man den ersten Abend mit ihr zusammensaß und als wohlgeratene Nichte gelten wollte? Da ich nicht einmal sicher war, ob diese Frau mich kennenlernen sollte, zog ich mich auf die Position der wortkargen Beobachterin zurück. Auf diese Weise würden mir die wenigsten Fehler unterlaufen. Sie tranken, sie redeten, manchmal alle gleichzeitig, tranken noch mehr, ziemlich durcheinander, das eine wie das andere. Ich schaute in die Runde, fragte mich gelegentlich, in was ich da hineingeraten sei und ob noch jemand auftauchen würde, der dem Alter nach nicht mein Vater oder meine Großmutter hätte sein können.

    Vielleicht auch nur, weil ich besonders auf sie achtete, ihre Gesten und Blicke verfolgte, sie irgendwie einzuschätzen versuchte, bildete Ruth den Mittelpunkt des Geschehens, ohne dass sie sich in irgendeiner Weise dominant verhielt, ihr Redeanteil war sogar deutlich geringer als der der anderen. Merkwürdig auch, dass ich mich, besonders wenn sie lachte, weder unsicher noch fremd fühlte inmitten dieser komischen alten Leute, für die ich keine Gebrauchsanweisung hatte.
    Sergej ging Nachschub holen, gab jedem auf, der am Tisch saß, klemmte dann seinen Wanst zwischen Bank und Tischkante und verdrückte ohne aufzusehen eine doppelte Portion. Während Heinrich wortreich einen verheerenden Nordostwind in seinen Gelenken vorauszuspüren glaubte, wandte sich Ruth mir zu und raunte: »Weiß dein Vater, dass du hier bist?«
    Ich sagte: »Nein.«
    Ruth nahm es zur Kenntnis, drehte sich zu Elisabeth und kommentierte die Wetterlage: »Auch ohne sein Knochenorakel reicht mir die Vorhersage schon.«
    Â»Vielleicht wird es nicht so schlimm.«
    Damit war das Familienthema für diesen Abend erledigt.
    Ania holte nach dem Essen einige von den Einmachgläsern, verteilte kleine Keramikbecher, schöpfte sich reichlich, machte eine einladende Handbewegung zu mir hin: »Wildkräuter und Johannisbeere sind die Besten! Nimm dir! Öffnet das Herz und löst die Zunge!«
    Â»Danke, ich bleibe lieber beim Wein.«
    Sie schnaubte verächtlich.
    Ein schneller, schwer einzuordnender Blick meiner Tante streifte mich. Um irgendetwas zu sagen fragte ich, ob denn sonst noch jemand da sei, Gäste oder Mitarbeiter, und Ruth
sagte: »Wir sind die Wintermannschaft«, als wäre das eine Erklärung.
    Â»Hüter eines leeren Hauses«, ergänzte Elisabeth.
    Â»Genau!«, rief Ania dazwischen. Man müsse sich schon fragen, was das mit dem Ganzjahresbetrieb für einen Sinn haben solle, aber mit Ruth sei keine Schließung zu machen, und alleine lassen könne man sie hier auch nicht. »Wir hocken herum und warten auf Sommer. Tolle Aufgabe das. Aber Dreck ist immer genug da. Nasdrowje!«
    Es wurde angestoßen,

Weitere Kostenlose Bücher