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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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Anflug von Wärme, der mich fast mehr verwirrte als der Ausbruch zuvor.
    Â»Mitte Mai fängt das Leben im Palau an, und das steigert sich dann bis zu den Sommerferien, da musst du mal kommen!
Du erkennst das Haus nicht wieder: In jeder Ecke Menschen, kleine, große, alles ausgebucht, jedenfalls meistens. Sergej holt noch drei, vier Leute in seine Küche. Olga, seine Schwester, kommt eigens angereist, und Aushilfen aus dem Dorf brauchen wir auch. Alle sind rund um die Uhr beschäftigt. An Wochenenden brummt das Café, da kann man nicht mal Luft holen. Sonntags stehen die Touristen draußen bei den Strandkörben an, manche bleiben den ganzen Tag drin hocken. Es haben sich schon welche geprügelt um einen Platz bei uns. Alles läuft auf Hochtouren, auch der Umsatz«, sie warf einen kurzen Blick auf Elisabeth, »und die meisten Sonnenstunden haben sowieso wir hier, egal was die Ostler auf Usedom in ihren Werbeanzeigen behaupten!«
    Die Gesichter hellten sich auf.
    Â»Es gibt keine Veranlassung, derart pessimistisch zu sein«, sagte Gräter, »solange man über die Runden kommt.«
    Die anderen pflichteten ihm mehr oder minder überzeugt bei, entspannten sich und begannen von Erlebnissen mit Feriengästen zu erzählen, als wäre nie von etwas anderem die Rede gewesen. Anekdoten machten die Runde, wurden ergänzt, fortgeführt, einige verliefen sich im halbfertigen Zustand, machten anderen Platz, für die gerade ein Stichwort gefallen war. Irgendwann vergaßen sie meine Anwesenheit, sprachen von »dieser verrückten Kruse«, dachten an »den Tag, an dem der Bürgermeister in Olgas Russenpunsch ersoffen ist«, erinnerten sich der »August-Rätin mit ihrer ungezogenen Brut«, der sie es gezeigt hatten, aber so richtig. Pointen wurden zunichtegebrüllt, und Ruth rätselte einmal, warum sich irgendein »Junge« den ganzen Tag noch nicht hatte blicken lassen. Ich saß dazwischen und erfreute mich an Gulasch, Brot und Wein. Dass ich zunehmend weniger von ihren Geschichten verstand,
machte nichts aus, weder mir noch ihnen. Sie hatten mit sich selbst Stoff genug, auch in der Winterpause. Niemand fragte mich nach Wetter, Studium, Freund oder Kinderwunsch, und »ein junges Gesicht«, das war ihnen glatt wurscht.
    Ich lehnte mich zurück und stellte mir vor, wie in Bergedorf die Kinder von der neuen Nanny ins Bett gebracht wurden, während deren Erzeuger vor dem Kaminfeuer von meiner Ex-Chefin angeschwiegen wurde, dreisprachig, den Cognacschwenker in der Hand. Niemand würde mich hier finden, zwischen den Alten, rotweintrinkend unter Deck, verborgen in Palau vor dem Deich, dem der Frühjahrssturm die Gischt aufs Reetdach spuckte.
    Â 
    Kurz vor Mitternacht war Elisabeths Blick auf mir hängen geblieben, als hätte sie sich soeben daran erinnert, dass da ja noch diese Nichte saß und man sich nun Gedanken machen müsse, was mit ihr zu geschehen habe.
    Â»Katia, bist du mit dem Auto hier?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Sie hat doch gesagt, dass Ludwig sie gefahren hat«, warf Ania ein, »wie soll sie ein Auto dabeihaben?«
    Â»Ach ja, richtig. Wo wohnst du denn?«, wollte Elisabeth wissen.
    Langsam hob ich die Schultern, ließ sie unschlüssig wieder sinken. Das Gespräch verstummte, alle sahen mich an. Jemand sagte: »Fahren dürfte sie heute ohnehin nicht mehr.«
    Ich betrachtete intensiv meine Turnschuhe, die sich noch immer etwas feucht anfühlten, und überlegte, ob ich den verpassten letzten Bus erwähnen oder mir ein Quartier im Dorf oder sonst etwas ausdenken sollte, um mich davonmachen zu können, aber ich schaffte es nicht, etwas zu erfinden, ich mochte
diese Menschen nicht beschwindeln, und ich wollte nicht weg. Ich wollte noch länger bei ihnen sitzen, wusste nicht, wie ich es sagen sollte, und stierte nur weiter wie ein verunsichertes Kind auf den Boden.
    Ruth stand auf, räusperte sich, sagte: »Ich habe mir schon so etwas gedacht« und verließ den Raum. Nach vier Minuten Endlosstille kam sie wieder mit einem Schlüssel in der Hand, an dessen roter Kordel eine ovale Plakette befestigt war. »Voilà!« Sie ließ ihn über die Tischplatte zu mir hinrutschen, ein schabendes Geräusch, das mit einem hellen Klirren endete. »Ganz oben«, sagte sie, »Stiege rauf, am Ende des Flurs, grüne Tür rechts, Bad ist nebenan, Frühstück zwischen acht und

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