Das Meer in seinen Augen (German Edition)
gefragt, warum Merlin überhaupt so Dinger brauchte, aber er hielt die Frage zurück. Er fand es ein wenig schwuchtelig, sich eine andere Augenfarbe zu geben. Irgendwie wollte er nicht, dass Merlin schwuchtelig war. Also sprach er ihn gar nicht erst darauf an.
Die Titelmelodie des Films zog sich träge dahin. Ruhige Bilder von französischen Landstrichen zogen vorüber. Auf einer einsamen Straße fuhr ein alter Wagen. David lehnte sich zurück gegen die Wand und zog die Beine an. Bereits jetzt wusste er, dass der Film mehr als nur langweilig sein würde. Die Franzosen fanden diese behäbige Bildkomposition sicher spannend, aber er war nunmal kein Franzose.
»Oh man«, sagte Merlin.
»Was?«
»Ich dreh meiner Mutter den Hals um.«
David lachte.
»Sicher wird sie sich damit rausreden, dass der Streifen ja für damalige Verhältnisse super spannend ist.« Merlin verdrehte die Augen.
»Oder sie hat sich einfach in der DVD vergriffen«, ergänzte David.
Sie schauten noch eine Weile, aber es ergab sich nichts, das eine Verbesserung versprach. Merlin ließ sich zur Seite kippen.
»Ich schlaf gleich ein.«
Automatisch legte David seine Hand auf Merlins Kopf und streichelte ihn. Dann bemerkte er aber, wie intim diese Berührung eigentlich war und zog die Hand wieder zurück.
»Mach weiter«, sagte Merlin leise.
David zögerte. Vorsichtig setzte er seine Hand wieder auf den Kopf und fuhr über das weiche Haar. Im Schein des Fernsehers sah er, dass Merlin die Augen geschlossen hatte. Langsam ließ er seine Finger über das Ohr gleiten. Wie seltsam fremd sich das anfühlte.
»Meine Mutter hat gewusst, dass der Film langweilig ist«, sagte Merlin plötzlich und kicherte.
»Warum hat sie ihn dir dann mitgegeben?«, fragte David verblüfft.
»Wahrscheinlich wollte sie, dass wir miteinander reden oder so.« Merlin schwieg einen Moment, bevor er weitersprach. »Sie macht öfter solche Sachen. Wenn sie einmal von etwas überzeugt ist, dann versucht sie es mit allen Mitteln zu unterstützen. Auf Dauer kann das auch ganz schön nerven.«
»Wovon ist sie denn überzeugt?«, fragte David vorsichtig.
»Sie wusste, dass du schwul bist und wollte, dass ich dir helfe.«
David schluckte. »Irgendwie wissen es alle.«
»Ich habe es bis zum Schluss bezweifelt«, sagte Merlin. »Du wirkst nicht schwul.«
David schwieg. Sicher sollte das eine Art Kompliment sein, aber es fühlte sich trotzdem komisch an. Das Aussehen änderte ja nichts an den Tatsachen.
»Ich glaub, du machst dir zu viele Gedanken«, sagte Merlin unvermittelt. »Versuch es einfach so zu nehmen, wie es ist.«
47
»Leicht gesagt«, murmelte David.
Merlin erhob sich wieder und setzte sich im Schneidersitz vor ihn. »Ja, vielleicht ist das wirklich nur leicht gesagt.«
»Hattest du keine Angst?«
Merlin überlegte. »Nein«, sagte er schließlich. »Bei mir war es vollkommen normal, weil meine Mutter es schon vor mir wusste und dementsprechend darauf reagiert hat.«
David nickte lediglich. Was sollte er auch dazu sagen? Seine Mutter würde ihm da auf keinen Fall entgegenkommen.
Im Film schwoll die Musik wieder an. Sie schauten beide hin, sahen aber das gewohnt triste Bild.
»Sollen wir den Mist nicht abstellen?«, fragte Merlin.
Wortlos nahm David die Fernbedienung und schaltete den Film aus. Dann saßen sie sich eine Weile schweigend gegenüber. Ihre Gesichter waren lediglich dunkle Schemen, weil die Schreibtischlampe den Großteil ihres Lichts in die Wand brannte. Merlin dachte kurz darüber nach, ob die Tapete nicht darunter leiden würde, ließ den Gedanken aber gleich wieder fallen. David hatte die Lampe absichtlich so eingestellt, um eine schummrige Atmosphäre zu schaffen. War das nicht schon Aussage genug? Er hatte ihn sogar schon gestreichelt. Trotzdem traute sich Merlin nicht so recht, forscher an die Sache heranzugehen. David hatte ihm schließlich in den letzten Stunden auch mehr anvertraut, als jemals einem anderen zuvor. Wenn er sich jetzt an ihn heranmachte, würde er damit nicht das ihm entgegengebrachte Vertrauen zu seinen Gunsten ausnutzen? Nein, das durfte er nicht. Andererseits wollte er aber schon.
»Worüber denkst du nach?«, fragte David plötzlich.
»Darüber, dass ich - dass meine Mutter mir gesagt hat ...«, er brach ab. Ja, seine Mutter hatte sicher recht. Er durfte sich nicht zu viele Gedanken machen. »Wir sollen uns einen schönen Abend machen.«
David runzelte die Stirn. »Versteh ich nicht.«
»Sie meinte, dass ich
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