Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Verharmlosung ganz schön üble Folgen haben«, sagte Merlin. »Versuch da mal einer Mutter das Junge wegzunehmen!«
Selma grinste. »Stimmt, aber du bist ein Kämpfer, du wirst den Drachen schon zur Strecke bringen.«
»Abwarten.« Merlin wandte sich wieder ab.
»Lin?«, rief Selma erneut.
»Was denn noch?«
»Nimm Kondome mit rüber, okay?«
»Ma!«
»Nichts Ma! Oben im Badezimmerschrank sind welche.«
»Ich habe nicht vor ...«
»Ist mir egal, ob du vor hast oder nicht. Wenn du sie brauchst, hast du welche, so einfach.«
Er grinste. Sein Lächeln verschwand aber genauso schnell, wie es gekommen war. »Genau das ist einer der Punkte, die mich vollkommen unsicher machen«, sagte er. »Einerseits will ich gern, aber andererseits weiß ich nicht, ob es so gut ist, wenn ich jetzt schon ... also, vielleicht überfordert ihn das ja auch.«
»Oder es zeigt ihm, wofür es sich zu kämpfen lohnt«, schloss Selma. »Kann man alles von zwei Seiten sehen. Und wenn er schon nicht die positive Seite kennt, dann solltest wenigstens du ihn dahingehend ein wenig unterstützen.« Der Wasserkocher schaltete sich mit einem Klacken ab. »Willst du nicht doch einen Tee?«
»Du mit deinem Tee«, maulte Merlin. Dennoch kam er in die Küche und holte sich eine Tasse aus dem Schrank.
»Es ist nicht schlecht, wenn du dir Gedanken machst«, sagte Selma, »aber du solltest nicht dein Ziel aus den Augen verlieren und dich in Befürchtungen verrennen. Du willst einen Freund und nicht irgendeinen Hampelmann von der Tanzfläche. Qualität hat immer einen Preis und eine Beziehung braucht viel Pflege. Wenn du das willst, was du dir wünscht, musst du Energie reinstecken.« Sie goss den Tee auf.
»Bist du dir immer sicher, was du willst?«
Selma schmunzelte. »Nein, sonst wäre ich wohl kaum mit dir durch Deutschland gezogen wie eine Bekloppte, oder?«
Merlin lachte.
»Zweifel gibt es immer«, sagte Selma. »Hier, nimm deinen Tee.« Dann fragte sie nach einem Augenblick: »Und was ist die andere Sache, worüber du nicht mit mir reden willst?«
»Der Tee riecht gut.« Merlin sah auf die Uhr. »Ich muss los.«
»Lin?«
»Ja?«
»Viel Spaß heute Abend.«
»Danke«, hauchte er und verschwand mit seiner Tasse nach oben.
46
»Du willst wirklich nicht mitkommen?«, fragte seine Mutter.
David atmete tief durch. Seine Mutter stand im Türrahmen, während er nach draußen schaute. »Mam, ich hab dir doch gesagt, dass ich mit Merlin einen Film gucken will.«
»Aber er ist doch rübergegangen.«
»Das heißt doch nicht, dass er auch drüben bleiben muss.« David drehte sich um.
»Ich wollte nur noch mal nachfragen«, sagte Hanne steif. »Dein Vater und ich gehen jetzt.«
»Wie lange bleibt ihr?«, fragte David mit gespielter Gleichgültigkeit.
Seine Mutter zog eine Augenbraue hoch. »Wieso?«
»Weil Merlin - erst gegen acht oder so kann. Ganz genau wusste er es nicht«, log er.
»Ach so.« Sie räusperte sich. »Ich denke, dass wir uns heute nicht mehr sehen. Dein Vater hat durchblicken lassen, dass er noch was vor hat, wenn du nicht mitkommst.«
David machte ein überraschtes Gesicht. »Also war es doch nicht so verkehrt, euch mal allein gehen zu lassen«, schloss er und grinste gewinnend.
»Du weißt, dass ich es trotzdem lieber hätte, wenn du mitkommst. Immerhin sind wir eine Familie.«
»Sind wir auch, wenn jeder mal für sich ein wenig Spaß hat«, sagte David. »Macht euch einen schönen Abend.«
Hanne nickte. »Wenn etwas ist, ruf an.«
»Was sollte sein?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und ließ ihn allein in seinem Zimmer zurück.
David war zum ersten Mal an diesem Abend wirklich überzeugt, richtig entschieden zu haben. Sein Vater spielte ihm jedenfalls perfekt in die Hände. Er gönnte seinen Eltern diesen Abend, auch wenn er bezweifelte, dass seine Mutter sich wirklich entspannen würde. Er schaute wieder aus dem Fenster. Ein paar Minuten später sah er seine Eltern ins Auto steigen und davonfahren. Fast zeitgleich ging drüben die Tür auf und Merlin trat auf die Straße. David fiel ein, dass er ein solch abgestimmtes Auftreten schon in den letzten Tagen beobachtet hatte. Er schüttelte diesen Gedanken schnell ab. Diesmal war er derjenige, der Besuch bekam und er wollte nicht an irgendwelche unangenehmen Geschichten denken.
Es klingelte. Während er die Treppe hinunterlief, fragte er sich aber, ob es nicht sinnvoller wäre, sich gerade deshalb Gedanken zu machen. Wie weit würden sie gehen? Wie weit
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