Das Meer und das Maedchen
jedem Fang – plitsch, platsch – ergoss sich mehr Salzwasser auf den bereits glitschigen Boden. Noch dreimal fischte sie ein Krabbenpaar, setzte es in Signes Schale und trug sie zum Becken.
Dazwischen rührte sie brav in der Soße, die in dem Topf auf dem Herd dicker und dicker wurde. Das ganze Haus war von dem würzigen Duft erfüllt. Mirja hielt einen Moment lang inne und holte tief Atem. Dann legte sie den Löffel weg. Die Rettungsaktion ging gut voran.
Mirja straffte die Schultern. „Gleich haben wir es geschafft“, sagte sie zu BF .
„Wuff“, bellte er.
Als sie alle zehn Krabben sicher in dem seichten Wasser des Beckens in die Freiheit entlassen hatte, blieb Mirja am Ufer stehen. Eine Welle der Erleichterung überkam sie. Ihr Blick fiel auf die Holzschale. Am Boden klebte ein winziges Stückchen Speck. Sie nahm es heraus und ließ es ins Gras fallen. Sie rieb die Fingerspitzen aneinander. Sie waren fettig von dem ganzen Speck. Die Schale war ebenfalls fettig. Sie würde sie spülen müssen, bevor Signe zurückkam.
Kurz überlegte sie, ob sie die Schale im Wasser des Beckens auswaschen sollte. Aber was, wenn sie mir aus der Hand rutscht? , fuhr es ihr durch den Kopf.
Das wäre gar nicht gut. Sie hatte keine Lust, ins Becken zu waten, um die Schale zurückzuholen, wenn zehn Krabben dort am Grund auf sie warteten. Oh nein, darauf hatte sie ganz und gar keine Lust.
Sie machte sich wieder auf den Weg zurück zum Haus. Da bemerkte sie Sindbad, der auf dem Geländer von Mr Beauchamps Veranda lag und schlief. Die Schale wäre ein wunderbares Boot für eine Katze, überlegte sie. Sie drehte sich um und schaute zum Wasser. Sie wäre bestimmt auch ein wunderbares Boot für ein kleines Mädchen.
Ganz plötzlich zog eine Wolke über den Himmel. Mirja dachte an Signe, die auf dem Küchenboden in der Schale saß und sich im Kreis drehte. Rundherum und rundherum. Mirja wurde schwindelig.
Sie musste die Schale zurückbringen und sie wieder an ihren Platz auf den Tisch stellen. Sie warf noch einen Blick zurück, um sicherzugehen, dass die Krabben im Wasser blieben und ihr nicht aus irgendeinem Grund folgten. Aber sie sah nichts als das silbrige Wasser. Die ruhige Oberfläche blinzelte ihr in der Morgensonne zu.
Einen herrlichen Augenblick lang fühlte sie sich ein bisschen so, wie sich eine Heldin fühlen mochte, selbst wenn ihre Heldentat nur darin bestanden hatte, zehn Krabben vor dem Kochtopf bewahrt zu haben.
Genau in diesem herrlichen Augenblick hörte sie das Knirschen und Knacken von Muscheln unter Autoreifen und das Husten eines Auspuffs. Dieses Geräusch hätte sie überall erkannt.
„Oh nein!“, rief Mirja.
„Wuff!“, bellte BF . Dann bellte er noch einmal. „Wuff!“
„Lauf!“, befahl sie ihm.
Mirja packte die Schale, so fest sie konnte, und rannte die Treppe hinauf. Die Soße brodelte.
Schnell, schnell, schnell.
Das Geräusch der Reifen auf den Muschelschalen wurde lauter. Mirja hielt die schwere Schale mit einer Hand und zog mit der anderen die Tür auf.
Die Uhr tickte.
Die Soße brodelte.
Die Tür schlug hinter ihr zu.
Alles war in Ordnung, bis auf den glitschigen Boden. Denn sobald sie durch die Tür getreten war, passierte es. FLUTSCH !
Mirja rutschte seitlich gegen den Geschirrschrank und schaffte es, sich an der Arbeitsplatte festzuhalten, ohne hinzufallen. Aber während sie um ihr Gleichgewicht kämpfte, machte die Hand, in der sie die Schale hielt – Signes wunderschöne Schale, in die ihre Mutter sie immer gesetzt und wie einen Kreisel rundherum gedreht hatte, die Schale, die Signe als einzigen Besitz aus Iowa mitgebracht hatte, die Schale, mit der Mirja gerade die Krabben gerettet hatte – in diesem Moment machte also die Hand, die diese Schale hielt, etwas Schlimmes: Sie öffnete sich. Die Schale flog durch die Luft und landete mit voller Wucht auf den harten Fliesen des Küchenbodens.
Kkkkkkkknnnnnaaaaaack!
Das splitternde Holz hörte sich an wie ein Feuerwerkskörper. Und in diesem Augenblick, in dem Augenblick, in dem das ohrenbetäubende Knacken ertönte, in dem Augenblick, in dem die Schale auf dem Boden aufprallte, kam Signe zur Tür herein. Und in diesem Augenblick merkte Mirja, wie heiß es in der Küche war. Es war, als würde man beim Zünden einer Rakete unter der Startrampe hocken.
BF schoss durch die Diele, in Mirjas Zimmer und unters Bett.
Signe stand im Türrahmen. Ihr weißes Haar umgab sie wie ein Heiligenschein. Und was hörte Mirja da, und zwar
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