Das Meer und das Maedchen
Glücksbringer war das Letzte, was ihre Mutter ihr gegeben hatte, ehe sie davongeschwommen war. Mirja war drei Jahre alt gewesen. Das war jetzt sieben Jahre her. Sieben Jahre lang hatte Mirja den Glücksbringer in der obersten Schublade zwischen den Socken aufbewahrt. Sieben Jahre lang.
Sieben. Eine Glückszahl!
„Perfekt!“, sagte Mirja und zog den Glücksbringer aus der Schublade. Dann hob sie die Tagesdecke ein Stück hoch und schaute unters Bett, wo BF kauerte. „Schau mal!“, sagte sie. BF berührte den Glücksbringer kurz mit seiner Nase und wich dann zurück. Der Anhänger war eiskalt, kälter als Mirjas Füße.
„Sieben Jahre!“, sagte sie zu BF . „Das bringt Glück.“
Plötzlich rasten ihre Gedanken. Den Glücksbringer hatte sie von ihrer Mutter, der Meerjungfrau.
Was konnte mehr Glück bringen als eine Meerjungfrau? Mirja kannte die Antwort: eine Meerjungfrauen- Mama , die genau wusste, wie Mirja die Schiffsladung Ärger loswerden konnte, die sie sich eingebrockt hatte.
Genau!
Und an dem bösen und schlimmen Tag, an dem niemand mit Mirja redete, machte Mirja eine bahnbrechende Entdeckung. Sie hatte die Krabben tatsächlich gehört. Es gab keinen Zweifel. Es spielte keine Rolle, dass Signe an Mirjas Vernunft appellieren und die ganze Sache als Unfug abtun würde: Die Krabben hatten mit Mirja gesprochen.
Wenn Mirja Krabben hören und verstehen konnte, durfte man doch vermuten, dass sie auch andere Wasserwesen verstand. Zum Beispiel Meerjungfrauen. Und wenn sie Meerjungfrauen hören und verstehen konnte, bedeutete das wohl auch, dass Meerjungfrauen sie ebenfalls verstanden.
Genau!
Und wenn das so war, bedeutete das vielleicht, vielleichtvielleichtvielleicht, dass sie die einzige Person finden konnte, die die Welt im kleinen Universum wieder ins Reine bringen konnte.
Ihre Mutter.
Und so entwarf Mirja einen Plan. Einen vollkommenen und ganz und gar perfekten Plan.
17 Mirjas vollkommener und ganz und gar perfekter Plan:
A.
Abwarten, bis Signe schläft.
B.
Sich mit BF aus dem Haus schleichen.
C.
In den Flitzer klettern.
D.
Auf die Flut warten.
E.
Das Tau losmachen.
F.
Sich vorher vergewissern, dass die Flut wirklich ihren höchsten Stand erreicht hat, weil das Boot sonst in die falsche Richtung treibt.
G.
Wenn der Knoten gelöst ist, über das Becken zum Kanal rudern.
H.
Durch den Kanal rudern – eine ziemlich enge Angelegenheit.
I.
Zur Sandbank rudern.
J.
Meggie Marie finden.
K.
Meggie Marie alles erzählen, was an diesem schrecklichen Tag geschehen ist. Alles.
L.
Meggie Marie fragen, was zu tun ist.
M.
Auf die nächste Flut warten.
N.
Durch den Kanal und das Becken wieder zurückrudern.
O.
Den Flitzer festmachen.
P.
Sich zurück ins Haus schleichen.
Q.
Aufpassen, dass Signe nicht wach wird.
R.
Morgen Früh aufwachen, als ob nichts geschehen wäre.
S–Z.
Alles tun, was Meggie Marie sagt, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
Mirja lächelte BF zu. Sie hatte alles bedacht. Die Sandbank war berühmt dafür, dass sich dort die Meerjungfrauen trafen. Außerdem war es der letzte Ort, an dem Mirja ihre Mutter gesehen hatte. Wenn sie Meggie Marie finden wollte, dann war die Sandbank genau der richtige Ort. De Vacas Fels.
Meggie Marie kannte alle, die an der Oyster Ridge Road lebten. Sie würde wissen, wie man alles wieder ins Lot bringen konnte. Sie würde wissen, wie man Signe, Dogie und Mr Beauchamp wieder glücklich machen konnte.
Außerdem musste Mirja dabei das Versprechen nicht brechen, das sie Signe gegeben hatte, als sie drei Jahre alt gewesen war, damals, als Meggie Marie davongeschwommen war. Was das für ein Versprechen war? Dass sie niemals, niemals wieder durch diese Wellen schwimmen würde.
Aber Mirja würde ja den Flitzer nehmen. Und damit konnte sie ihr Versprechen halten. Sie würde nicht schwimmen, oh nein, bestimmt nicht. Sie würde keinen einzigen Schwimmzug machen, weder auf dem Bauch, noch auf dem Rücken noch sonst irgendwie. Sie würde rudern. In Bezug auf Boote hatte Mirja keinerlei Versprechen abgegeben.
Es war alles perfekt, perfekt, perfekt.
„Tutto perfetto!“, sagte Mirja zu BF , der immer noch unter dem Bett kauerte.
Um den Plan zu besiegeln, schrieb sie ihn auf, alle Schritte von A bis Z.
Dann wollte sie den Zettel falten und in die hintere Hosentasche stecken, entschied sich aber, zuerst alles auswendig zu lernen. Das war ziemlich klug – denn was wäre, wenn das Papier nass werden und die Tinte verschmieren
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