Das Meeresfeuer
mußten, und
zumindest der erste Blick, den Mike auf das Meer warf, als er
gebückt in den eisigen Wind hinaustrat, der über das Deck der
LEOPOLD strich, schien ihm recht zu geben: Der Himmel war
grau und hing niedrig, und er kam Mike vor wie eine Platte aus
massigem Blei, die jemand über die Welt gestülpt hatte. Die
Sonne sah aus wie ein daraufgemalter gelber Klecks, der kaum
Licht und überhaupt keine Wärme verstrahlte, und selbst vom
Wasser schien ein eisiger Hauch aufzusteigen. Die Aufbauten
der LEOPOLD waren mit einem weißen Schimmer bedeckt,
und hier und da hatte sich sogar Eis gebildet. Im Norden, noch
weit entfernt, glitzerte eine weiße Linie, wo eigentlich der
Horizont sein sollte. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man
eine Anzahl winziger dunkler Punkte davor erkennen, die wie
Perlen auf einer unsichtbaren Schnur hintereinander aufgereiht
waren.
Ihre Begleiter ließen ihnen Zeit, sich umzusehen, gestatteten
aber nicht, daß sie stehenblieben, so daß sie schon nach wenigen
Augenblicken wieder zurück ins Innere des Schiffes traten und
die Treppe zur Brücke hinaufgingen. Trotzdem reichte das für
Mike, festzustellen, daß die NAUTILUS noch immer im
Schlepptau hinter dem Kriegsschiff lag. Der Anblick gab ihm
einen tiefen, schmerzhaften Stich. Die Rettung war so nahe und
trotzdem unerreichbar.
Winterfeld erwartete sie wie üblich in seiner Kabine, und er
war nicht allein. Als sie eintraten, stand er zusammen mit
zweien seiner Männer über eine riesige Karte gebeugt da, die
seinen ganzen Schreibtisch beanspruchte. Mike warf einen
neugierigen Blick darauf, aber was er sah, verwirrte ihn völlig.
»Ah, unsere Gäste!« begrüßte sie Winterfeld
– mit einem
Lächeln und in einem fröhlichen Ton, der der Situation
überhaupt nicht angemessen schien. Er nickte den beiden
Männern zu seiner Rechten zu, woraufhin diese schweigend die
Kabine verließen. »Bitte, sucht euch irgendwo einen Platz«,
sagte er. »Und verzeiht das Durcheinander. Ich hasse nichts so
sehr wie Unordnung, aber leider sind wir hier ein wenig
eingeschränkt, was Platz angeht. « Keiner von ihnen rührte sich
– außer Serena, die sich suchend umsah und dann kurzerhand
einen Stapel Papier von einem Stuhl fegte, um sich darauf
niederzulassen. Winterfeld sah sie einen Moment lang stirnrunzelnd an, zuckte aber dann nur die Achseln und fuhr im selben
fröhlichen Ton fort: »Nun, ich hoffe, die Bedenkzeit, die ich
Ihnen gewährt habe, hat ausgereicht. Sind Sie zu einem Schluß
gekommen?« »Ja«, sagte Stanley böse. »Nämlich zu dem, daß
Sie komplett verrückt sind, Winterfeld. Aber dazu hätte ich
keine vier Tage gebraucht. «
»Denken Sie ebenso?« Winterfeld nahm die Beleidigung
sichtlich ungerührt hin und wandte sich an Brockmann.
»Nicht ganz«, antwortete der deutsche Kapitän. »Aber die
Antwort auf die Frage, ob ich mit Ihnen gemeinsame Sache
gegen mein Vaterland machen will, lautet nein – wenn es das
ist, was Sie wissen wollen. « Winterfeld seufzte. »Es tut mir
leid, wenn Sie es so sehen«, sagte er. »Die Wahrheit ist, daß ich
weder gegen unser noch gegen das Land unseres britischen
Kameraden vorgehen will oder gegen irgendein anderes. Mein
einziger Feind ist der Wahnsinn, der im Augenblick von der
ganzen Welt Besitz ergriffen hat. Und Sie, Herr Trautman, und
Ihre Freunde?«
Trautman zögerte, sofort zu antworten. Sein Blick glitt wieder
über die aufgehängten Karten und Tabellen, und er sah plötzlich
wieder besorgt und erschrocken drein wie beim ersten Mal, als
sie hiergewesen waren.
Vor allem die große Karte, die auf Winterfelds Schreibtisch
lag, schien ihn zu beunruhigen. Mike fragte sich, ob er darin
vielleicht mehr sah als er und die anderen. »Wenn ich wirklich
wüßte, daß Sie diesen Krieg beenden könnten, würde ich
zustimmen«, sagte er schließlich. »Aber das kann niemand.
Auch Sie nicht. « »Und wenn ich es Ihnen beweise?« fragte
Winterfeld. Trautman schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich
weiß, was Sie vorhaben«, sagte er. »Es wird nicht funktionieren,
glauben Sie mir. «
Mike blickte Trautman aus großen Augen an, und auch auf
den Gesichtern der anderen spiegelten sich Überraschung und
Unglauben. »Sie wissen, was er vorhat?« fragte Stanley.
Trautman ignorierte ihn. »Seien Sie vernünftig, Winterfeld«,
sagte er. »Es kann nicht funktionieren – und selbst wenn, hieße
es, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. «
»Wovon zum Teufel reden Sie überhaupt?« fuhr Stanley
Weitere Kostenlose Bücher