Das Merkbuch
Hause mitbringt . . . Kaffee, das ist das bitter-köstliche Wachwerden am Morgen, das Vater und Mutter teilen, während der Sohn ihnen eifersüchtig zuschaut, die im Bett beisammen waren . . .
Sie machten sich die ganze Zeit Sorgen wegen des Geldes, von dem Vater zu wenig verdiente. Sie mussten, wie man sagt, jede Mark einzeln umdrehen. Stets begleitete Vater die Furcht, jetzt stehe er vor dem Nichts. Und mit ihm Mutter und Sohn. Diese kleinen Rechnungen über Kaffee, Tabak, Schokolade galten dem Stand seiner Verdammnis – wie nah er sich schon an sie herangearbeitet habe.
Aber er gibt das Geld aus. Statt in Angststarre zu verfallen und es geizig zu hüten, kauft er ein.
Er leiht sich Geld bei seinem Vorgesetzten, Dr. Schlögl. Am 24. September leiht er sich 50 Mark bei Dr. Buchholz. Am 2. November erhält Mutter 50 Mark; die Schuhreparatur kostet 9, Kaffee kostet 10 Mark. Am 3. Dezember wirbt der Kalender für sich selbst: Beim Einkauf dieses Kalenders für 1953 verlange man ausdrücklich TeBe-Kalender Ausgabe G.
Der 3. Dezember gehört dem heiligen Franz Xaver, der laut Brockhaus eigentlich Francisco de Jassu y Javier hieß, 1506 in einem Schloss zu Navarra geboren wurde und 1552 in China starb. Er gehörte zu den Anhängern des Ignatius von Loyola, beteiligte sich an den Formulierungen für die erste Ordensverfassung der Jesuiten und missionierte in Asien. Vermutlich entging es ja Vater, dass er 1952 einen katholisch korrekten Taschenkalender benutzte – hätte er es bemerkt, er wäre wieder mal in Wut geraten, wie weit er selber bereits der Adenauer-Republik verfallen sei – die ja gegen NS und Kommunismus die Rückkehr zum Christentum und zur Antike propagierte.
Nach den Büchern der Spinnfaser und denen der Steg widmete sich Vater im September und Oktober den Büchern von Stromeyer in Mannheim sowie denen der Hommelwerke, ebenda, weitere Berührungen mit dem sich neu formierenden westdeutschen Kapital.
Max Stromeyer, Mitglied einer weitverzweigten Familie, gründete 1887 sein Speditions- und Kohlegeschäft in Konstanz am Bodensee, einer Stadt, der er zuvor als Bürgermeister gedient hatte. Langsam, aber sicher erweiterte das Unternehmen seinen Wirkungskreis über Konstanz hinaus, in das größere Süddeutschland hinein, nach Österreich und in die Schweiz, eine Expansion, die 1938 dazu führte, dass der Firmensitz nach Mannheim verlegt wurde.
Bei der Arbeit für Stromeyer in Mannheim fühlte Vater sich wohl. Ansprechendes Betriebsklima; so wie bei Kühne + Nagel in Bremen. Es ging wieder um Wasser und den Transport von Gütern darauf, bei Stromeyer damals vor allem Kohle, und das erfüllte Vater mit guten Gefühlen.
Max Stromeyer, geboren 1830, gestorben 1902, Freimaurer, liberaler Politiker, geriet als katholischer Oberbürgermeister von Konstanz in Konflikte mit seiner Kirche. Insbesondere sorgte er dafür, dass gewisse Schulen und Stiftungen der Kontrolle der Kirche entzogen wurden. Er hatte die so genannte kleine Exkommunikation zu ertragen, war vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen.
So etwas gefiel Vater, im katholischen Adenauer-Deutschland. Erinnerungen an antikatholische Unbotmäßigkeit.
Die Hommelwerke in Mannheim erzielten besondere Erfolge mit ihrem Universalwerkstättengerät, das noch heute leidenschaftliche Liebhaber findet. Eine echte Wunderwaffe . . .
Die Wunderwaffe, beginnt man zu fantasieren, welche am Ende der Führer der Wehrmacht für den Endsieg nicht verschaffen konnte . . .
Man kann damit bohren und drehen, fräsen, stoßen, hobeln und ziehen, schleifen.
Hohe poetische Qualität der technischen Vorgänge. Vertikales, horizontales und schräges Lehrenbohrwerk. Innen- und Außenkugeldrehen. Metrisches, Withworth- und Modulgewinde. Fräsen in allen Winkellagen. Kugelräder und Zahnstangen.
Das Universalwerkstättengerät der Hommelwerke antizipiert das Do-it-yourself, dem sich die westdeutschen Eigenheimbesitzer bald massenhaft widmeten, um ihr Eigenheim zu perfektionieren und vom professionellen Handwerk unabhängig zu machen, ein Fall von Entdifferenzierung: Spezialisten ausschalten, die Sache selber in die Hand nehmen.
Hätte jeder deutsche Mann während des Krieges, möchte man spotten, daheim das Universalwerkstättengerät der Hommelwerke im Keller gehabt, es wären Unmengen ingeniöses Kriegsgerät entstanden. Statt der einen Wunderwaffe, über die der Führer kraft seines Genies gebietet, ein Massenaufgebot durchdringender Feuerspritzen, gläserner
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