Das Midas-Komplott - Thriller

das?«
    Er sah sie unverwandt an: »Weil ich es gebaut habe.«

6. KAPITEL
    Von der Stelle aus, an der sie parkten, hatte man einen unverstellten Blick auf den Puget Sound. Bis Bainbridge Island, kurz vor Bremerton, würde er die Fähre mit dem bloßen Auge verfolgen können. Sofern sie es überhaupt bis dorthin schaffte. Der Timer würde die Explosion sehr viel früher auslösen.
    Neben ihm saß Peter Crenshaw. Mit einem Fernglas bewaffnet verfolgte er das Schiff, das soeben an der Nordspitze von West Seattle vorbeifuhr.
    »Wenn Locke baden geht, kriegst du das auch ohne Fernglas mit.«

    »Ich suche nur das Deck ab, ob etwas auffällig ist. Um festzustellen, ob er jemanden gewarnt hat.«
    »Der wird den Teufel tun. Inzwischen hat er kapiert, dass ich jedes Wort bitter ernst meine.«
    Eine Joggerin näherte sich. Orr konnte nicht erkennen, ob sie ihn und seinen Begleiter beobachtete, denn sie trug eine Sonnenbrille. »Steck das Ding weg, bevor du damit auffällst. Niemand rechnet damit, dass wir von hier aus Vögel beobachten.«
    Crenshaw legte das Fernglas auf den Sitz und wandte sich wieder den beiden Videos auf seinem Laptop zu. Das erste kam von der Kamera, die in der Sonnenblende des Lastwagens versteckt war. Das zweite kam aus dem Laderaum. Stacy Benedict las gerade die Anweisungen. Tyler Locke öffnete den kleinen Beutel und schüttete den Inhalt in seine Hand: vierzehn Stücke eines vor über zweitausend Jahren erfundenen Puzzles.
    »Wie hat er denn am Telefon geklungen? Glaubt er, dass er es schafft?«, fragte Crenshaw.
    »Ich setze auf Locke. Auf seinem Gebiet ist er einsame Spitze. Niemand außer ihm kann uns helfen.«
    »Und wenn er auf die Schnauze fällt?«
    »Dann braucht der Bundesstaat Washington demnächst eine neue Fähre.«
    Orr beugte sich vor, um die GPS-Ortung zu überprüfen. Sie zeigte den Lastwagen mitten auf dem Puget Sound, und da befand er sich tatsächlich. Sie funktionierte.
    Crenshaws Ausdünstung drang bis zu ihm, und er drehte rasch die Scheibe herunter. Crenshaw war ein begnadeter Bombenbauer, aber was seine Körperhygiene anlangte, war er ein Schwein. Orr wäre nicht erstaunt gewesen, wenn er sich die ganze Woche noch nicht geduscht hätte, so fettig war sein Haar, und so ungepflegt sah sein Bart aus. Sein Wanst wölbte sich vor, als hätte er einen Strandball unter seinem T-Shirt versteckt. Sein
Kinn war mit Puderzucker besprenkelt. Der Mann ekelte Orr an, aber er brauchte ihn.
    Monatelang hatte sich Orr in der Verkleidung eines radikalen Steuergegners im Internet getummelt, bis er eines Tages in einem Underground-Chatroom, in dem man gegen die Regierung der Vereinigten Staaten wetterte, auf den Elektronikfreak Crenshaw gestoßen war. Crenshaw hatte sein Studium abbrechen müssen, weil er eine Schwäche für den Bau ausgeklügelter Rohrbomben hatte. Ein Formfehler verhinderte zwar, dass er im Gefängnis landete, aber er fand nie eine Anstellung, weil er sich so unmöglich benahm. Er wohnte im Tiefparterre des Hauses seiner Mutter in Omaha und pflegte seinen Hass auf Uncle Sam.
    Nach einer Weile nahm Orr privat Kontakt mit Crenshaw auf, und als er sich sicher war, dass Crenshaw ihm vertraute, schlug er ein Treffen vor. Er übernahm sogar die Flugkosten. Es sollte nicht lange dauern, und Orr hatte Crenshaw in seinen Plan eingeweiht und ihm für seine Mitarbeit zwei Millionen angeboten.
    Bei Crenshaws sechstem Donut schüttelte es Orr innerlich angesichts Crenshaws mangelnder Selbstkontrolle. Er verstand einfach nicht, wie man sich derart gehen lassen konnte. Crenshaw hatte nie Hunger gelitten, er hatte immer ein Dach über dem Kopf gehabt und ein angenehmes Leben geführt, was ihn aber keineswegs hinderte, ständig gegen die Regierung zu stänkern. Orr hingegen hatte Dinge durchgemacht, die sich Crenshaw im Traum nicht vorstellen konnte, aber er hängte sie nicht an die große Glocke. Er hatte gelernt, dass er sich nur auf einen einzigen Menschen verlassen konnte, und das war er selbst.
    Seine Eltern hatten auf großem Fuß gelebt und ihren einzigen Sohn nach Strich und Faden verwöhnt. Er bekam alles, was
er sich wünschte, sei es Spielzeug, Ferien in Europa oder eine exklusive private Schulerziehung. Eines Abends fuhr sein Vater gegen einen Brückenpfeiler und tötete sich und seine Frau.
    Die Polizei stellte keine Schleuderspuren fest, und der Fuß seines Vaters stand noch auf dem Gaspedal, als das Auto geborgen wurde. Man stufte seinen Tod als Selbstmord ein. Die Versicherung