Das Midas-Komplott - Thriller
«die Gabe des Midas«? Das war zum Totlachen. Jeder wusste, dass die Geschichte von König Midas nur ein Mythos über die Geldgier war. Midas konnte alles, was er berührte, in Gold verwandeln. Ursprünglich hielt er das für einen Segen. Doch als selbst die Speisen unter seiner Berührung ungenießbar wurden,
erkannte er, dass die Götter ihn verflucht hatten. Er flehte sie an, ihn zu erlösen. Sie erhörten ihn, aber vorher verwandelte er noch versehentlich die eigene Tochter zu Gold.
»Können Sie das noch einmal wiederholen?«
»Sie haben mich richtig verstanden, Locke«, entgegnete Orr. »Die Gabe des Midas. Finden Sie sie oder Ihr Vater und Stacys Schwester haben die längste Zeit gelebt. Wenn Sie erfolgreich sind, verhandeln wir neu.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Mein voller Ernst. Ich versichere Ihnen, dass es die Gabe des Midas tatsächlich gibt.«
»Okay«, sagte Tyler langsam. Er überlegte, wie er den Anschein erwecken konnte, als ließe er sich auf den Blödsinn ein, um in Wahrheit seinen Vater zu suchen.
»Ich habe die Sache mit eigenen Augen gesehen, und ich kann es beweisen.«
»Wozu brauchen Sie dann uns noch?«
»Die Geschichte erzähle ich Ihnen lieber von Angesicht zu Angesicht. Seien Sie um ein Uhr an der südwestlichen Ecke von Safeco Field, und Sie erfahren Näheres. Nur Sie und Stacy. Keine Polizei, kein Westfield. Sonst ist es aus mit Ihrem Vater und Stacys Schwester.«
Die Uhr im Auto zeigte zehn Minuten nach zehn. Es dürfte wohl noch vor zwölf Uhr eine Fährverbindung zurück nach Seattle geben.
»Wir kommen«, sagte Tyler. Er legte auf und schloss die Augen. Er musste sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass sein Vater in Orrs Gewalt war. Er konzentrierte sich auf seine Atmung, denn er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Eine Weile herrschte Schweigen, bis Grant es schließlich brach.
»Übrigens, mein Name ist Grant Westfield. Ich bin Ihr Chauffeur bis zur Fähre.«
Er streckte die Hand aus, und Stacy drückte sie fest. »Stacy Benedict.«
»Ich kenne Ihre Sendung. ›Jagd auf die Vergangenheit‹. Ich habe Sie nur nicht gleich erkannt.«
»Danke, dass Sie uns abgeholt haben.«
»Für Tyler tu ich alles. Aber könnte ich vielleicht erfahren, warum der Wahnsinnige den Lastwagen in die Luft gesprengt hat?«
Tyler erzählte ihm von dem Puzzle, mit dessen Hilfe sie die Bombe entschärfen mussten, weil Orr testen wollte, ob sie die geeigneten Leute für ihn waren.
»Und wieso kennt er meinen Namen?«, fragte Grant. »Wer ist dieser Typ überhaupt?«
»Du hast ihn mal kennengelernt. Sein Name ist Jordan Orr.«
»Moment mal. War das nicht der Kerl, für den du das Geolabium gebaut hast?«
Tyler nickte.
»Und vermutlich kennt Stacy ihn auch?«
»Nein«, erwiderte Stacy. »Ich war in Seattle, um Spendengelder zu sammeln. Heute Morgen erhalte ich einen Anruf, man habe meine Schwester entführt. Ich solle mit der Fähre nach Bremerton fahren und den Mund halten, sonst müsste sie es ausbaden. «
Tyler ballte die Fäuste, bis seine Knöchel weiß waren. Hätte er das früher gewusst, hätte er seinen Vater vielleicht rechtzeitig warnen können. Am liebsten hätte er laut geschrien, stattdessen hämmerte er mit den Fäusten auf das Armaturenbrett. Tylers Zorn galt freilich Orr, der ihn hereingelegt hatte, nicht Stacy, die ihm die Entführung ihrer Schwester verschwiegen hatte. Sie war dem Wahnsinnigen nicht weniger ausgeliefert als er.
Kopfschüttelnd holte er tief Luft, bis er sich wieder beruhigt hatte.
»Gut, dass wir uns im Lastwagen nicht unterhalten haben«, sagte er zu Stacy gewandt. »Wir müssen vor Orr sehr auf der Hut sein.«
Sie wandte sich zu ihm, und er sah die Angst in ihren Augen. »Versprechen Sie mir, dass meiner Schwester nichts passiert. Ich weiß, dass Sie mir das nicht versprechen können, aber tun Sie es trotzdem.«
Tyler nickte. »Ich verspreche es Ihnen. Wir werden einen Weg finden, die beiden unversehrt zu befreien.«
»Ich wüsste gern mehr über dieses Geolabium«, fuhr Stacy fort.
»Im vergangenen Jahr, nachdem Miles mich dazu verdonnert hatte, in Ihrer Sendung aufzutreten, trat Orr an mich heran. Vielleicht erinnern Sie sich, ich hatte damals erwähnt, dass ich mich für Archimedes interessiere. Orr zeigte mir die Übersetzung einer altgriechischen Handschrift, die Anweisungen für den Bau eines Geolabium genannten Geräts enthielt. Er habe sie von einem privaten Sammler. Es klang faszinierend, und so erklärte ich mich bereit,
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