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Das Millionen-Bewußtsein

Das Millionen-Bewußtsein

Titel: Das Millionen-Bewußtsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
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einen Augenblick über euch nach, nicht als Einzelwesen, sondern als das Geschöpf Menschheit, das aus Milliarden kleiner Teile, den Individuen, zusammengesetzt ist. Diese Kreatur sagte sich, sie würde eine Brücke zu den Sternen bauen, aber sie belog sich selbst. Was ihre Hände die ganze Zeit bauten, während sie von einer neuen Welt sprach, war etwas anderes, das sie viel mehr ersehnte.«
    »Und was soll das sein?« fragte Jai.
    »Wie könnten wir das wissen?« erwiderte die Gottesanbeterin. »Wir sind keine Menschen. Das seid nur ihr. Aber soviel wissen wir, daß es kein Weg zu einer anderen Welt ist. Wenn die Zeit dafür reif ist, daß ihr wirklich zu einem anderen Planeten wollt – wenn ihr euch das mehr als alles andere wünscht –, dann werdet ihr zweifellos auch einen finden. Und sowenig, wie wir euch nun helfen oder hindern, werden wir euch dann helfen oder hindern. Wir würden nicht einmal jetzt zu euch sprechen, wenn nicht eines jener kleinen Teilchen, das weiß, was die Menschheit als Ganzes sich ersehnt, uns durch das, was ihr alle miteinander bautet, erreicht hätte und uns die ethische Pflicht aufzwang, ihm zu antworten.«
    Die Gottesanbeterin blickte Chaz an und verschwand, mit ihr die Schnecke. Das Abseits war nicht länger sichtbar. Die zweidimensionalen Pappfiguren waren nichts weiter mehr als das.
    Jai betrachtete Chaz nachdenklich. In diesem Augenblick vernahmen sie den dumpfen Donner einer fernen Explosion, und der Boden unter ihren Füßen erbebte.
    »Das war eine der Sprengungen«, murmelte Chaz. »Wie viele der Ladungen habt ihr eigentlich wirklich gefunden?«
    »Vier«, erwiderte Jai. »Aber du hast soeben mehrere Millionen Menschen zu einem qualvollen Tod verdammt. Ich werde nicht sterben, auch die anderen Hexen nicht – und ich nehme an, einige weitere ebenfalls nicht. Wir vermuteten bereits, daß einige der Verbannten sich als immun herausgestellt hatten. Aber was ist mit den vier Millionen im Chicagoer Gebiet, die es nicht sind? Die Zitadelle hätte sie zumindest am Leben erhalten.«
    »Leben nennst du das?« Chaz schüttelte den Kopf. »Doch wie dem auch sei, du täuschst dich. Niemand braucht zu sterben, außer die meisten weigern sich, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Die Gottesanbeterin hat recht – die Pritchermasse war nie etwas, das uns zu einer neuen Welt zu bringen vermöchte.«
    »Was war sie dann?« fragte Jai.
    »Du bist blind, Jai«, sagte Chaz kopfschüttelnd. »Blind deshalb, weil du deine Augen verschließt. Wie kannst du nur zwischen Glas und Kunststoff und Beton leben, ohne auch nur wissen zu wollen, was es außerhalb davon gibt. ›Die Erde ist des Herrn ...‹, schrieb der Apostel Paulus an die Korinther. Und Albert Schweitzer schrieb 1949: ›Am Abend des dritten Tages, als wir bei Sonnenuntergang durch eine Herde Nilpferde hindurchfuhren, stand urplötzlich, von mir nicht geahnt und nicht gesucht, das Wort Ehrfurcht vor dem Leben vor mir. Nun war ich zu der Idee vorgedrungen, in der Welt- und Lebensbejahung und Ethik miteinander enthalten sind! Nun wußte ich, daß die Weltanschauung ethischer Welt- und Lebensbejahung samt ihren Kulturidealen im Denken begründet ist ...‹ «
    Eine weitere Explosionswelle erreichte sie. Jai runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst. Predigst du eine universale Ethik? Wenn es so ist, dann bist du wahrhaftig wahnsinnig. Es gibt keine universale Ethik!«
    »O doch, es gibt sie und hat sie immer gegeben«, entgegnete Chaz. »Sie steckt in uns seit Anbeginn, ob wir nun an sie glauben oder nicht. Gewisse Reaktionen von Lebewesen, besonders von intelligenten, sind unabänderlich wie Naturgesetze. Warum, glaubst du, kamen die Gottesanbeterin und die Schnecke auf meinen Ruf herbei? Sie kennen mehr Gesetze als wir, und sie achten sie. Wenn wir überleben wollen, müssen wir jene achten, die wir kennen. Mißachten wir sie, dann sterben wir aus. Das eigene Nest nicht zu beschmutzen, ist eines der primitivsten Gesetze. Wir mißachteten es, und die Seuche kam.«
    Eine dritte Explosion ließ das Gebäude erbeben.
    »Wir hätten uns der Seuche entziehen können, indem wir die Erde verlassen«, sagte Jai.
    »Nein. Denn wenn uns das gelungen wäre, hätten wir einen anderen Fehler gemacht und einen anderen Weg gefunden, uns selbst zu vernichten«, erwiderte Chaz ernst. »Die Erde ist mehr als nur ein Ort zum Herumkriechen. Vor langer Zeit, ehe es Häuser und Feuer und eine Sprache gab, fanden wir Nahrung und Unterschlupf

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