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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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sein.
    Von Kultur und Wissensch aft will sie nichts wissen, solche Themen verursachen ihr umgehend Migräne. Glücklicherweise verschaffte mir diese Heirat Zugang zu Kreisen und Zirkeln, von deren Existenz ich vorher nicht einmal eine Ahnung hatte.
    Immer öfter werde ich zu kulturellen und politischen Veranstaltungen in die Lande shauptstadt eingeladen. Ottilie kommt nur mit, wenn ein raffiniertes Buffet zu erwarten ist.
    Ihre Hüften scheinen von Monat zu Monat an Umfang zuzunehmen, ebenso wie ihre Obera rme, und ich warte auf den Tag, an dem ihr ein drittes Kinn wächst. Gegen ihre Sehschwäche, die erheblich stärker zu sein scheint, als anfangs zugegeben, trägt sie gelegentlich dunkle Gläser, die sie aussehen lassen wie ein altes, hässliches Insekt.
    Immerhin konnte ich ihr Interesse an der körperlichen Liebe wecken. Sie findet viel Vergn ügen an allem, was ich mit ihr mache, und für Umarmungen jeglicher Art ist ihr fülliger Körper nicht übel geeignet.
     
    Was für ein arrogantes Arschloch! Rike trank einen Schluck Kaffee, schüttelte verärgert den Kopf und holte sich die nächste Kladde.
    Darin beschrieb Distelrath immer wieder ausführlich, geradezu detailverliebt, die gesellschaf tlichen Veranstaltungen, zu denen er eingeladen war und in die er sich immer besser einzupassen wusste, und erwähnte die Beziehungen, die er knüpfte.
    Rike überflog das alles. Für Einzelheiten hatte sie keine Zeit. Sie sah auf die Uhr. Kurz nach sieben. Sie stand auf, warf einen Blick aus dem Giebelfenster, schob die Kladde zurück und zog das letzte Heft in der obersten Reihe heraus. Sie versuchte die unteren zweieinhalb Re ihen, die sie noch durchsehen musste, zu ignorieren. Der Gedanke daran schnürte ihr den Hals zu.
    Da es draußen noch nicht richtig hell war, verkroch sie sich wieder in die Ecke hinter den Vorhang und fing an, das Heft durchzublättern. Plötzlich stieß sie auf einen N amen, den sie noch nicht kannte.
     
    17.10.1874
    Gestern besuchte ich, wie jeden Monat, den Literaturzirkel, den ich ins Leben ger ufen habe. Und da sah ich sie wieder, zum dritten Mal jetzt. Marie. Allein ihr Name bringt meine Seele zum Lächeln. Und was sie mit ihren kaum dreißig Jahren alles im Kopf hat, ist unfassbar. Sie redet so geistreich und witzig, dass ich ihren Ausführungen stundenlang lauschen könnte.
    Wenn das nun alles wäre, würde ich mich damit begnügen, mich einmal im Monat auf ihre Anwesenheit zu freuen und mich im Gespräch mit ihr zu messen, aber sie ist schön wie die Göttin der Liebe selbst, ihr Körper so wohlgeformt, dass das Auge nirgendwo anders mehr hinsehen möchte, ihr zartes Profil mit den hochgestec kten schwarzen Locken so edel wie das der Kleopatra. Ihr voller Mund verheißt Leidenschaft, und der Blick ihrer großen, dunklen Augen verbrennt mir den Verstand.
     
    Und so ging es weiter. Rike widerte es an. Das alte Schwein, das immerhin noch mit Ottilie verheiratet war, kriegte ja den Hals nicht voll!
    Fast der ganze Rest des Hefts war gefüllt mit Lobeshymnen auf Marie, doch zum Schluss erfuhr Rike, dass Ottilies Mutter, Distelraths Schwiegermutter, kurz nach Weihnachten ve rstarb. Ihr Vater überlebte seine Frau nur um wenige Wochen. Und das brachte Distelrath, wie er im letzten Satz schrieb, auf eine Idee.
    Rike stand auf und holte sich das nächste Heft. Mittlerweile war es so hell draußen, dass sie sich in die Nähe des Fensters stellen und dort weiterlesen konnte.
     
    2.3.1875
    Christoph K., Apotheker und ein Freund von mir, besorgte mir Arsen für die ,Ratten‘ in meinem Keller. Ich serviere Ottilie, die sich trotz der großen Erbschaft sehr melancholisch verhält und sich in jeder Hinsicht gehen lässt, jeden Morgen eine winzige Dosis in ihrer Marmelade.
    Der Hausarzt führt ihre zunehmenden Leibschmerzen auf den Kummer über den Tod ihrer geliebten Eltern zurück und verordnet ihr eine Kur an der See. Ich begleite sie kurzerhand und nehme das Arsen mit.
     
    Rike sah auf und schluckte. Was sie da in Händen hielt, war ein Mordgeständnis! Der Mann hatte seine Frau umgebracht, weil er frei sein wollte für eine andere. Und weil er vielleicht nebenbei ein Vermögen erben wollte.
    Sollte sie weiterlesen? Etwas in ihr war angeekelt bis zum Erbrechen, etwas anderes in ihr wollte so viele Informationen wie möglich. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Sie schaute prüfend aus dem Fenster, auf die Uhr (halb acht) und besorgte sich unten in der Küche eine Tasse mit frischem Kaffee.
    Oben im

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