Das mittlere Zimmer
vor acht. Sie sollte es für heute gut sein lassen, Johann konnte jede Minute zurückkommen, und sie musste das ,Notfallschild‘ noch an die Tür hängen. Sie räumte das letzte Hefte ebenso ordentlich wie die anderen zurück in den Schrank, klappte die Türen zu und wollte schon das Zimmer verlassen, als ihr der Kaffeebecher einfiel. Sie trat an den Schreibtisch, hob die Tasse hoch, und ihr Herz machte einen schmerzhaften Extra-Schlag. Da war ein ringförmiger Abdruck auf der grünen Unterlage, aber nicht etwa ein feuchter Ring, den man hätte wegwischen können, sondern eine Verformung des Kunststoffs durch die Hitze der Tasse!
Wenn Johann den Abdruck entdeckte, wusste er sofort, dass jemand hier gewesen war! Was sollte sie tun? Konnte sie den Abdruck entfernen? Eilig brachte sie den Becher in die Ecke hinter den Vorhang, lief zurück zum Schreibtisch und fuhr mit dem Finger über den leicht erhabenen Kreis. Die Hitze hatte das Mater ial aufquellen lassen.
Bli eb das jetzt so, oder würde der Fleck, wenn das Material abkühlte, verschwinden?! Wenn er verschwand, wie lange würde das dauern? Wenn nicht, was sollte sie tun?! Eis! schoss es ihr durch den Kopf. Sie konnte wenigstens versuchen, die Stelle mit Eis abzukühlen!
Als hinge ihr Leben davon ab, hetzte sie ganz nach unten in den Keller, wo die große T aschenlampe hingehörte, hängte das Schild außen an die Haustür, lief nach oben in die Küche, wo sie ein paar Eiswürfel in einen Gefrierbeutel füllte, und stürmte wieder hinauf auf den Speicher, um das Eis auf die betroffene Stelle zu legen.
Dann bezog sie Position am Fenster, wo sie ein paar Minuten lang abwartete. Minuten, die sich zu Stunden zu dehnen schienen, wä hrend in ihrem Kopf die Gedanken nur noch darum kreisten, was passieren würde, wenn Johann sie erwischte. Für gewalttätig hielt sie ihn nicht, nicht einmal für besonders jähzornig oder aufbrausend. Aber sie stellte sich vor, wie er sie ganz kühl und mit Enttäuschung und Verachtung im Blick mit seinen Bernsteinaugen durchbohrte, sie des Hauses verwies und sie nie wiedersehen wollte.
Rike merkte, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie wollte nicht von Johann verlassen werden! Sie hatte noch nie einen Mann so geliebt wie ihn! Sie wollte gar keinen anderen Mann lieben als ihn! Sie würde verkümmern und verhungern ohne ihn!
Rike riss ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche und presste es gegen den Mund. Sie sollte sich nicht in solche Gedanken hineinsteigern, sondern nachsehen, ob das Eis irgendeine Wirkung gehabt hatte!
Mit spitzen, zittrigen Fingern ergriff sie den Plastikbeutel an einer Ecke, holte einmal tief Luft (das Taschentuch immer noch gegen den Mund gepresst, die Augen feucht) und hob den Be utel mit dem Eis in die Höhe: der Tassenabdruck war weg. Jetzt vergoss Rike Tränen der Freude und Dankbarkeit, wischte einen Rest Feuchtigkeit von der Unterlage, ließ ihren Blick ein letztes Mal aufmerksam umherwandern und machte sich auf den Weg nach unten.
In der Küche genehmigte sie sich erst einmal ein ordentliches Frühstück und begann anschli eßend mit dem Abwasch. Johann kam erst gegen neun Uhr mit Blutflecken auf dem blaukarierten Hemd nach Hause. Auch in seinem blonden Bart zeichneten sich dunkle Flecken ab. Und, vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, roch er nicht sogar nach Blut? Jedenfalls hatte sie seine Augen noch nie so dunkel und so müde gesehen.
„Ich hab die beiden blöden Köter erst regelrecht auseinander operieren und dann wieder z usammenflicken müssen. Ich weiß nicht, ob die das überleben“, knurrte er, setzte sich an den Tisch und bat um ein Spiegelei. Rike legte ihm von hinten die Arme um den Hals, küsste ihn aufs Ohr und zerfloss beinah in der Woge aus Liebe und Leidenschaft, die sie auf einmal überrollte. Was war sie dankbar, dass der verräterische Ring der Kaffeetasse verschwunden war! Sie wollte Johann nicht verlieren.
Während der nächsten Tage genoss sie das Zusammensein mit ihm besonders. Sie las ihm jeden Wunsch von den Augen ab und verwöhnte ihn, wo sie nur konnte. Johann tat se inerseits das gleiche. Und trotzdem, am Mittwochabend, als sie nach einer stürmischen Stunde im Bett erschöpft nebeneinander lagen, trieb Rike die Neugier dazu, noch einmal in seinem Vorleben herumzustochern.
„Erzähl mir doch mal was über deine Ex-Frauen“ , forderte sie ihn neckisch auf.
Johann lächelte nachsichtig. „Warum? Das ist vorbei und vergessen.“
„Warum? Na, hör
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