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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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Nacken zusammengebunden hatte, riet ihr dringend, eine Psychotherapie zu machen, und drückte ihr eine Schachtel mit Valiumtabletten in die Hand.
    Sie wollte schon aufstehen und das Zimmer verlassen, als er sie aufforderte, in se inem Beisein gleich hier und jetzt eine der Pillen zu schlucken. Zunächst wollte Rike nicht, aber der Arzt drohte ihr an, sie über Nacht in die Klinik einzuweisen, wenn sie sich weigere. Dann holte er auch noch Johann ins Zimmer, und gemeinsam redeten sie auf sie ein, bis sie eine Tablette nahm.
    Auf dem Heimweg wurde sie zunehmend schläfrig und sperrte alle zwei Minuten i hren Mund zu ausdauerndem Gähnen auf. Inzwischen war es stockdunkel draußen. Sie fuhren durch tiefschwarze Waldstücke, durch offene, mondbeschienene Feld- und Wiesenlandschaften, und plötzlich, während Rike gerade wieder gähnte, machte Johann mit quietschenden Reifen eine Vollbremsung.
    Sie wurde in ihrem Gurt nach vorn geschleudert und war plötzlich wach, als hätte ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser ins Gesicht gekippt. Sie standen auf einer Kre uzung und von rechts raste ein erbost hupender Mensch in einem gigantischen LKW zehn Zentimeter vor ihrer Motorhaube vorbei.
    Trotz Valium begann ihr Herz erregt zu klopfen. Was war denn mit Johann los?! Er hatte nicht aufgepasst! Was ging in seinem Kopf vor?! Eigentlich wollte sie sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn der Laster ungebremst in die Beifahrerseite g eschossen wäre. Aber dann tat sie es doch: wenn der LKW Johanns fahrenden Schrotthaufen, der keinen einzigen Airbag besaß, getroffen hätte, wäre sie bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht worden!
    Johann sah sie kurz an, dann fuhr er weiter, ohne ein Wort zu sagen. Auch Rike hielt den Mund, legte den Kopf zurück an die Kopfstütze und schloss die Augen, während sich ihr Herzschlag überraschend schnell verlangsamte. Warum hatte sich Johann nicht längst einen neuen, sicheren, komfortablen Wagen der oberen Preisklasse a ngeschafft? Hatte er wirklich so viel Angst, er könne sich verraten? Oder war es ihm ernsthaft unwichtig, womit er durch die Gegend fuhr?
    Oder ... oder hatte es eine tiefere Bedeutung, dass ihr nichts passiert war?
    Rike öffnete die Augen und sah nach rechts in die Dunkelheit eines dichten Waldes. Und plötzlich verstand sie: das war ein Zeichen gewesen! Gott, die Vorsehung oder wer oder was auch immer, hatte ihr zu verstehen gegeben, dass niemand ihr, der Auserwählten, etwas antun konnte! Nicht einmal der Zufall bzw. Johanns Unau fmerksamkeit an der Kreuzung zweier Landstraßen! Ja, so musste es sein!
    Mit einem Gefühl von Sicherheit und Stärke lehnte sie ihren Kopf wieder z urück. Ihr konnte nichts passieren, solange sie einen Auftrag auszuführen hatte. Kurz bevor sie zu Hause ankamen, wäre sie beinah eingeschlafen. Und obwohl sich Johann anscheinend gern noch eine Weile mit ihr unterhalten oder sonstwie beschäftigt hätte, ließ sie sich nicht davon abhalten, sofort zu Bett zu gehen. Innerhalb von Minuten fiel sie in einen traumlosen Schlaf.
    Aber um vier Uhr morgens wachte sie auf, und es dauerte keine dreißig S ekunden, bis die Erinnerung an den vergangenen Tag auf ihr Gemüt sackte wie ein tonnenschwerer Felsen. Rike steckte zwei Finger in den Mund. Sobald sie an Johann dachte, schmerzte ihr Magen. Abscheu, Wut und Hass überfluteten ihr Bewusstsein wie eine schwarze, ätzende Flüssigkeit und spülten auch noch den letzten Rest Liebe aus ihrem Herzen. Es gab nur noch einen Gedanken: der Mann musste beseitigt werden!
    Dass sie unter diesen Umständen nicht mehr einschlafen konnte, war klar. Also b egann sie zu überlegen, was man wohl mit Johann anstellen konnte. Ihn erschießen? Sie hatte keine Pistole und auch keine Ahnung, wie man damit umging. Mit dem Messer erstechen oder der Axt erschlagen? Das war zu blutig, dazu hatte sie nicht die Nerven.
    Nein, eigentlich sollte es etwas sein, was länger dauerte. Er sollte leiden, so leiden wie Ottilie, die qualvoll an Arsenvergiftung gestorben war. Johann hatte jede Menge Tabletten und Pü lverchen unten in seinem Medikamentenschrank. Da sollte doch wohl ein passendes dabei sein.
    Oder sollte sie ihn lieber in einen der Kellerräume einsperren und verdursten lassen? Aber Johann, der ja ein einfallsreicher Mann war, würde sich vielleicht aus dem Keller befre ien können, und was dann?
    Rike drehte sich auf die Seite, zog die Decke hoch bis an ihr rechtes Ohr und saugte an ihren Fingern. Sollte sie nicht doch lieber ihr

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