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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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und schaute abwesend zum Fenster hinaus. Ihr Verstand fühlte sich an wie ein abgeschaltetes Radio. Stille. Keine schönen Gedanken, keine schrecklichen Gedanken. Nichts. Er schaltete sich erst wieder ein, als sie, da die Küchentür offen stand, jemanden die Treppe heraufkommen hörte.
    Schnell erhob sie sich und stellte sich an den Backofen, als hä tte sie dort etwas zu tun. Und schon sah sie Johann in seiner nicht mehr ganz neuen hellbraunen Lederjacke zur Küchentür hereinkommen.
    Im gleichen Moment war es vorbei mit innerer Ruhe oder dem Gefühl, abgeschaltet zu sein. Ein Hass loderte in ihr auf, dass es ihr die Kehle zuschnürte und den Brustkorb zusamme npresste. Das war der Mann, der ihre Tochter hatte sterben lassen! Rike musste sich an der Arbeitsplatte festhalten.
    Johann trug einen zufriedenen Ausdruck im bärtigen Gesicht. „Hallo Schatz. Du hast was Leckeres gekocht?“ Seine Augen lächelten.
    Rike wusste sofort, dass sie kein Wort herausbringen würde. Sie drehte sich von ihm weg und räumte ohne Sinn und Zweck Dinge auf der Arbeitsplatte hin und her. Sie musste, verdammt noch mal, ihre Gefühle unter Kontrolle bekommen!
    Sie hörte, wie Johann näher kam. Nicht anfassen! Er durfte sie nicht anfassen! Wenn er sie anfasste, würde sie anfangen zu schreien. Oder sie würde gleich jetzt versuchen ihn zu erwü rgen! Sie biss die Zähne zusammen, dass die Kiefergelenke wehtaten. Sie konnte ihn nicht erwürgen. Sie hatte keine Chance gegen ihn.
    Jetzt fasste er sie am Arm und drehte sie zu sich um. „Friederikchen, was ist los, um Hi mmelswillen?“
    Seine Augen, hellbraun wie Löwenaugen, blickten sie fragend an, besorgt fr agend, ernsthaft besorgt. Rike biss die Zähne noch mehr aufeinander und wich seinem Blick aus. Eine Antwort! Sie brauchte jetzt sofort eine Antwort! Ein paar Sekunden herrschte nichts als Chaos in ihrem Verstand - doch plötzlich löste es sich auf, und da war die Antwort.
    „Ich fühle mich einfach furchtbar!“ jammerte sie. „Ich hab vor ein paar Tagen die Ta bletten abgesetzt, ich wollte nicht für den Rest meines Lebens davon abhängig sein! Und jetzt geht meine Stimmung rauf und runter! Es ist so furchtbar!“
    Dies wäre der Moment gewesen, sich Johann an den Hals zu werfen und den Tränen freien Lauf zu lassen. Aber sie konnte nicht. Wie zu Stein erstarrt stand sie da. Sie hätte gern ihre Finger in den Mund gesteckt, stattdessen presste sie die Zähne wieder zusammen, dass ihr sogar die Nackenmuskeln wehtaten.
    „Meinst du nicht, dass du so was mit deinen Ärzten absprechen solltest?“ Seine Stimme klang tadelnd und fürsorglich zugleich.
    Glaubte er ihr etwa? Rike sah ihn an. Zeichnete sich nicht Erleichterung auf seinem Gesicht ab? Oh ja, er glaubte zu verstehen, warum sie sich in den letzten Tagen so seltsam verhalten hatte. Das war gut. Das war bestens.
    Johann nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. Rike entspannte sich ein wenig und u marmte ihn ebenfalls, obwohl Johann spüren musste, dass sie nicht besonders herzlich bei der Sache war.
    „Wo hast du eigentlich vorhin gesteckt? Ich hatte was vergessen und bin noch mal zurückg ekommen. Wo warst du?“ Sein Blick war besorgt.
    Rike sah zur Seite . Aber wieder kam ihr eine Antwort leicht über die Lippen. „Ich ... ich wollte nicht, dass du mitkriegst, wie dreckig es mir geht ... und darum ich hab mich im Keller versteckt.“
    Nahm er ihr das ab? Anscheinend.
    Er schüttelte nur den Kopf und meinte: „Weißt du was, Liebes? Wir essen jetzt den Auflauf, und dann fahre ich dich ins Krankenhaus, damit sie dir andere Tabletten geben. Ja? Machen wir das?“
    Rike nickte und war froh, als Johann sie losließ. Während des Essens erzählte er von seinem Einsatz auf dem Reiterhof, und wie er dem Pferd hatte helfen können. Hass flackerte in Rikes Seele auf. Dem Pferd hast du geholfen! Wieso meiner Tochter nicht?! Fast blieb ihr der Auflauf im Hals stecken. Mit großer Anstrengung schluckte sie den Bissen hinunter.
    Nach dem Essen machten sie sich auf den Weg ins Krankenhaus. Rike hatte wenig gegessen und wenig geredet und war dankbar, dass sie nicht mit Johann zu Hause vor dem Fernseher sitzen musste.
    In der Notfallpraxis gleich neben dem Krankenhaus unterhielt sie sich mit einem jungen Arzt über ihre angeblichen Schwierigkeiten beim angeblichen Absetzen der starken Psychopharmaka, die sie angeblich genommen hatte. Der Arzt, der in grauen Jeans und grauem Pullover am Schreibtisch saß und seine langen Haare im

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