Das mittlere Zimmer
nicht schaden, ihn ein wenig abzulenken.
„Weißt du“ , begann sie und versuchte ein paar Tränen kommen zu lassen (was gar nicht recht klappte), „seit ich die anderen Tabletten nicht mehr nehme, ist mir erst richtig bewusst geworden, was mit meiner Familie passiert ist ... mit Hannah, und manchmal, wenn mir klar wird, dass ich sie nie wiedersehen werde, dann ... dann möchte ich am liebsten sterben.“
Johann kaute weiter an seinem Brot, nickte ernst, spülte das Brot mit ein paar Schlucken Ka ffee hinunter und versicherte: „Ja, das kann ich nachempfinden. Ich habe auch schon einige Menschen verloren, die ich sehr geliebt habe. Und deshalb sollst du ja das Valium nehmen, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst! Es wird dir irgendwann besser gehen, glaub’s mir!“
Rike schaute zum Fenster hinaus, damit er die aufflammende Wut und den Hass in ihren A ugen nicht sah. Richtig! Wenn du nach langem, schmerzhaftem Todeskampf unter der Erde liegst!
Johann trank seinen Kaffee aus und ließ sich eine zweite Tasse geben. Dann schien er das Gespräch absichtlich in alltägliche Bahnen zu lenken, bevor er sich schließlich nach unten in seine Praxisräume begab. Wie lange würde es wohl dauern, bis das Gift wirkte? Würde es überhaupt wirken?
Rike holte das Bügelbrett aus der Abstellkammer und fing an, in der Küche Johanns Hemden zu bügeln. Bis sie sich eine halbe Stunde später fragte, warum sie die Hemden eines Mannes bügelte, der in ein paar Tagen tot sein würde. Eben wollte sie das Bügeleisen wegpacken, als ihr klar wurde, dass ihr Tun für sie sprach, sollte jemals jemand sie verdächtigen, etwas mit Johanns Tod zu tun zu haben.
Während sie also weiterbügelte, malte sie sich verschiedene Szenen mit Ärzten, Krimina lkommissaren und Rechtsanwälten aus, in denen sie sich mit geeigneten Argumenten gegen die Beschuldigung, sie sei eine Mörderin, wehren musste. Als sie gerade vor Gericht erklärte, sie sei völlig fachfremd und kenne sich mit Pflanzengiften nicht im geringsten aus, hörte sie jemanden die Treppe heraufkommen, sah Johann an der offenstehenden Küchentür vorbeihasten und hörte, wie er die Badezimmertür zuschlug.
Sie zwang sich dazu, mit ihrer Arbeit fortzufahren statt ihm sofort hinterherzulaufen. Als a hnungslose Ehefrau sollte sie davon ausgehen, dass er nur dringend zur Toilette musste ... obwohl sie sich andererseits darüber wundern sollte, warum er nicht die Toilette im Erdgeschoss benutzte. Aber wahrscheinlich blockierte eben der Besitzer eines vierbeinigen Patienten diese Örtlichkeit, sagte sie sich als ahnungslose Ehefrau.
Da das Haus stabil gebaut war, drangen keine außergewöhnlichen Geräusche vom Bad in die Küche. Etwa zehn Minuten später hörte Rike Johann aus dem Bad herauskommen, und plöt zlich stand er in der Küchentür, im Gesicht weiß wie eine Schneelandschaft, und hielt sich mit zittriger Hand am Türrahmen fest.
Rike stellte das Bügeleisen ab und eilte auf ihn zu. „Du liebes Bisschen! Wie siehst du denn aus! Was ist passiert?!“
„Ich hab einen Mordsdurchfall, und mein Kreislauf ist auch im Eimer! Ich muss mich hinlegen ... aber schnell!“, stöhnte er.
Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen, obwohl er sich, als Rike ihn am Arm fasste, um ihn zu stützen, so kalt anfühlte, als habe er stundenlang in einer Gefriertruhe gelegen. Sie führte ihn ins Wohnzimmer, half ihm aufs Sofa und deckte ihn fürsorglich zu.
„Ich ruf jetzt den Notarzt und -“
„Nein, das geht schon“ , behauptete Johann mit schwacher Stimme und schob sich noch ein Kissen unter den Kopf. „Hol mir nur was zu trinken, und dann musst du meinen Patienten Bescheid sagen und sie zu einem Kollegen schicken.“
Rike erfüllte ihm seine Wünsche und freute sich darüber, wie schlecht es ihm ging. Dass er ke inen Arzt im Haus haben wollte, freute sie besonders. Nachdem Johann zwei Gläser Wasser getrunken hatte, schlief er auf dem Sofa ein. Rike ließ ihn in Ruhe.
Am frühen Nachmittag wurde er wach und meinte, es ginge ihm besser. Daraufhin brachte Rike ihm ein Glas Wasser mit einer nicht ganz so großen Portion Digitalistropfen wie am Morgen, das er mit wenigen Schlucken leer trank. Sein Gesicht hatte etwas Farbe bekommen, aber unter seinen Augen malten sich dunkle Schatten ab. Er wirkte irgendwie sehr lan gsam.
Sie setzte sich zu ihm ins Wohnzimmer und sah fern, bis Johann sich plötzlich auf dem Sofa aufrichtete und mit einer Hand vor dem Mund ächzte: „Hol einen
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