Das Mörderschiff
wir die nördliche Küste des Sunds erreichten, und dann nach Westen, die Küste entlang. Zweimal hielten wir an, einmal um einen von Bäumen überhangenen Hafen zu kontrollieren, der etwas weniger als vierzig Meter im Durchmesser hatte, und noch einmal, um uns einen Komplex von Industriegebäuden anzusehen, der früher, so sagte mir Williams, einen hochwertigen Sand geliefert hatte, der ein Bestandteil einer der berühmtesten Zahnpastamarken gewesen war. Wieder nichts. Wir hielten uns ungefähr fünf Minuten dort auf. Oberleutnant Williams erklärte, daß er hungrig sei. Ich war es nicht. Ich hatte mich zwar langsam an den Hubschrauber gewöhnt, aber ich verspürte keinen Hunger. Es war jetzt Mittag. Die Hälfte unserer Zeit war vorüber, und wir hatten noch nichts erreicht. Und es sah ganz so aus, als ob wir überhaupt nichts erreichen würden. Darüber würde Onkel Arthur sich freuen. Ich sah mir die Karte von Williams an.
»Wir müssen jetzt auf gut Glück operieren. Wir werden hier vom Sund aus nach Dolman Head fliegen. Dann befinden wir uns gegenüber von Garve Island und fliegen von dort nach Loch Hynart.« Loch Hynart war ein etwa sieben Meilen langer See, der sich nach Osten erstreckte und in dem sich viele kleine Inseln befanden. Nirgendwo war er breiter als eine halbe Meile. »Von dort fliegen wir wieder zurück nach Dolman Head und von dort aus an der Südküste der Halbinsel bis zum Carrara Point. Dann weiter nach Süden die Küste von Loch Houron entlang.«
»Loch Houron.« Williams nickte. »Die wildesten Gewässer und der gefährlichste Ort für Schiffe im ganzen westlichen Schottland. Dort braucht man auf keinen Fall zu suchen, Mr. Calvert, davon können Sie überzeugt sein. Wahrscheinlich werden Sie nichts anderes finden als Wracks und Skelette. Dort befinden sich auf einem Gebiet von zwanzig Meilen mehr Klippen und Untiefen, Strudel und Felsen unter Wasser als in allen anderen schottischen Gewässern zusammen. Kein einheimischer Fischer würde sich diesem Ort jemals nähern.« Er zeigte auf die Karte. »Sehen Sie hier die Durchfahrt zwischen Dubh Sgeir und Ballara Island, den beiden Inseln am Eingang zu Loch Houron? Das ist der am meisten gefürchtete Ort. Sie sollten einmal den Griff der Fischer nach ihren Whiskygläsern sehen, wenn sie davon reden. ›Beul nan Uamh‹ nennen sie es, ›Schlund des Grabes‹.«
»Die Einheimischen sind wirklich fröhliche Leute. Für uns wird es Zeit, daß wir uns auf den Weg machen.«
Der Wind blies noch immer stark, die See unter uns sah noch genauso gefährlich aus, aber es hatte aufgehört zu regnen, und das machte uns das Suchen etwas leichter. Auf der Strecke vom Sund nach Dolman Head fanden wir nichts. Auch nicht in Loch Hynart. Zwischen Loch Hynart und Carrara Point, weitere acht Meilen nach Westen, gab es nur zwei kleine Siedlungen, nahe an der Küste gelegen, mit den Rückfronten gegen die kahlen Felsen, deren Bewohner – falls es dort überhaupt Bewohner gab – von Gott weiß was lebten. Carrara Point war eine vom Sturm umtoste Einöde. Riesige scharfe Klippen, ungeheure zerklüftete Felsen, die aus der See hervorstachen, und haushohe Wellen, die bis hinauf zu den Klippen brausten. Und am Fuße der Klippen ein winziger Leuchtturm. Veranstalter organisierter Urlaubsreisen würden bestimmt keine Zeit mit der Überlegung verschwenden, ob sie hier ein Feriendorf gründen sollten.
Wir wandten uns erst nach Norden, dann nach Nordosten, später nach Osten und flogen die ganze Südküste von Loch Houron entlang.
Es gibt viele Orte, die einen schlechten Ruf haben. Beim ersten Anblick jedoch pflegen nur wenige diesen Ruf sofort zu bestätigen. In Schottland ist der Paß von Clencoe, wo das schreckliche Massaker stattfand, einer dieser Orte, ebenso der Paß von Brander, und ohne jeden Zweifel war Loch Houron ein weiterer.
Man brauchte nicht die geringste Phantasie, um sich vorzustellen, daß dies hier ein dunkler, tödlicher und gefährlicher Ort war. Er sah einfach dunkel, tödlich und gefährlich aus. Die Küstenlinie war schwarz und felsig mit steilen Klippen und ohne eine Spur von Vegetation. Die vier Inseln, die in einer Linie ausgerichtet nach Osten dalagen, gaben der Küste an Düsterheit nichts nach. Von weitem sah man, wie sich im Norden und im Süden die Ufer beinah berührten, ehe sie in einer Kluft in den finsteren grauen Bergen verschwanden. Auf der vom Wind abgekehrten Seite der Insel war das Wasser pechschwarz, auf der anderen ein
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