Das mohnrote Meer - Roman
und eingelegten Austern, einen Wildschmorbraten, Butterfisch in Essig, mit Petersilie bestreut, einen Rindfleisch-Vindalu mit allen Beilagen und Platten mit kleinen gebratenen Ortolanen und Tauben, in der Pfeilform eines fliegenden Schwarms angeordnet. Als Herzstück hatte der Oberkoch eines seiner Paradegerichte gewählt: gefüllten gebratenen Pfau auf einem silbernen Untersatz, die Schwanzfedern gespreizt wie bei der Balz.
Der Anblick verschlug Mr. Doughty einen Moment lang den Atem. »Ich muss schon sagen«, murmelte er schließlich und wischte sich die Stirn, an der die Vorfreude auf das Festmahl bereits den Schweiß herunterrinnen ließ. »Ein Anblick wie für Chinnerys Pinsel!«
»Genau, Sir«, sagte Paulette, ohne allerdings richtig hingehört zu haben, denn ihre Aufmerksamkeit – wenn auch nicht ihr Blick – galt dem Platz zu ihrer Linken, den Zachary gerade einnahm. Sie wagte sich jedoch nicht von dem Lotsen abzuwenden, denn Mrs. Burnham hatte sie schon mehr als einmal für den Fauxpas getadelt, im unpassenden Moment mit ihrem linken Nachbarn zu sprechen.
Mr. Doughty erging sich noch in begeisterten Ausrufen über die Speisen, als Mr. Burnham sich zur Ankündigung des Tischgebets räusperte. »Wir danken dir, Herr …« Paulette führte wie die anderen ihre gefalteten Hände ans Kinn und schloss die Augen, konnte sich einen verstohlenen Blick auf ihren Nachbarn jedoch nicht versagen und geriet beträchtlich aus der Fassung, als ihre Augen denen Zacharys begegneten, der über seine Fingerspitzen hinweg ebenfalls zur Seite spähte. Beide erröteten und schauten schnell wieder weg, gerade rechtzeitig, um Mr. Burnhams volltönendes »Amen« nachzusprechen.
Mr. Doughty verlor keine Zeit und spießte einen Ortolan
auf. »Gestreckter Galopp, Miss Lambert«, flüsterte er Paulette zu, während er den Vogel auf ihren Teller legte. »Glauben Sie’s einem alten Hasen: Man muss sich ranhalten mit den Ortolanen. Gehen immer als Erste weg.«
»Oh, danke schön«, sagte Paulette, doch ihre Worte erreichten den Lotsen nicht, denn seine ganze Aufmerksamkeit war inzwischen auf den Dampuk gerichtet. Da ihr älterer Tischnachbar nun solchermaßen abgelenkt war, konnte Paulette sich endlich Zachary zuwenden.
»Ich bin froh, Mr. Reid«, sagte sie förmlich, »dass Sie sich den Abend für uns frei machen konnten.«
»Nicht so froh wie ich, Miss Lambert«, erwiderte Zachary. »Es kommt nicht oft vor, dass ich zu einem solchen Festmahl eingeladen werde.«
»Aber Mr. Reid, mein kleiner Finger sagt mir, dass Sie in letzter Zeit sehr häufig sortiren!«
»Sor … sortiren?«, fragte Zachary verwundert. »Und was meinen Sie bitte damit, Miss Lambert?«
»Verzeihen Sie, ich meine auswärts dinieren – tun Sie das nicht in letzter Zeit sehr häufig?«
»Mr. Doughty und seine Frau sind sehr freundlich. Sie haben mich ein paar Mal mitgenommen.«
»Da haben Sie Glück«, sagte Paulette mit einem verschwörerischen Lächeln. »Ich glaube, Ihr Kollege, Mr. Crowle, hat es nicht so gut getroffen.«
»Davon weiß ich nichts, Miss.«
Paulette senkte die Stimme. »Seien sie vorsichtig mit Mr. Crowle. Mr. Burnham sagt, er ist ein fürchterliches Raubein.« Zachary versteifte sich. »Ich habe keine Angst vor Mr. Crowle.«
»Geben Sie trotzdem Attention, Mr. Reid. Mrs. Burnham sagt, sie will ihn nicht im Haus haben. Sie dürfen ihm nichts davon sagen, dass Sie heute Abend hier sind.«
»Keine Sorge, Miss.« Zachary lächelte. »Mr. Crowle ist nicht gerade jemand, mit dem ich Vertraulichkeiten austauschen würde.«
»Ist er denn nicht auf dem Schiff?«
»Nein«, erwiderte Zachary, »das sind wir alle nicht. Die Ibis liegt im Trockendock, und so lange haben wir Landurlaub. Ich wohne in einer Pension.«
»Ja? Wo denn?«
»In Kidderpur, Watsongunge Lane. Jodu hat sie mir besorgt.«
»Ach ja?« Paulette sah sich um, ob auch niemand Jodus Namen gehört hatte, dann wandte sie sich beruhigt wieder Zachary zu.
Mr. Burnham hatte vor Kurzem eine Vorrichtung installieren lassen, die den Speiseraum kühl halten sollte. Dieser sogenannte Luftkühler war eine Worfelmaschine, an der man einen Propeller und eine dicke Matte aus wohlriechendem indischem Duftgras montiert hatte. Die Diener, die früher die Seile der Deckenfächer gezogen hatten, betätigten jetzt den Luftkühler: Einer benetzte die Matte, der andere drehte mittels einer Kurbel den Propeller, sodass ein steter Luftstrom durch die nasse Matte strich. Durch Verdunstung sollte auf
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