Das mohnrote Meer - Roman
großen Expedition, mit der Monsieur de Bougainville genau das vorhatte, was sie sich so sehr wünschte. Die Idee begeisterte sie, und sie beschloss, ebenfalls Expeditionnaire zu werden. Aber dass die Männer eine Frau auf das Schiff lassen würden, war natürlich nicht zu erwarten … Und wissen Sie, Mr. Reid, was meine Großtante gemacht hat?«
»Nein.«
»Etwas denkbar Einfaches. Sie hat sich die Haare wie ein Mann gebunden und sich unter dem Namen Jean Bart um die Teilnahme an der Expedition beworben. Und sie wurde auch akzeptiert, von niemand anderem als dem großen Bougainville persönlich! Es war nicht einmal besonders schwierig, Mr. Reid, das sollten Sie wissen: Sie brauchte sich nur die Brust zu bandagieren und größere Schritte zu machen. So ging sie an Bord, in Hosen, so wie Sie, und keiner der Seeleute und Wissenschaftler kam hinter ihr Geheimnis. Stellen Sie sich vor, Mr. Reid, all diese Gelehrten, die so versiert waren in der Anatomie von Tieren und Pflanzen – nicht einer von ihnen hat gemerkt, dass eine fille unter ihnen war, so männlich kam sie daher. Erst nach zwei Jahren wurde sie entlarvt, und wissen Sie, wie, Mr. Reid?«
»Keine Ahnung, Miss.«
»Als die Expeditionnaires in Tahiti an Land gingen, hat den Leuten dort ein Blick genügt, und sie wussten Bescheid. Zwei Jahre lang hatten die Franzosen mit ihr auf ein und demselben
Schiff gelebt, tagaus, tagein, und erst die Tahitianer haben ihr Geheimnis gelüftet. Aber jetzt spielte es keine Rolle mehr, denn Monsieur de Bougainville konnte sie ja nicht im Stich lassen. Er war d’accord , dass sie blieb, und aus Dankbarkeit soll sie die Blume nach dem Admiral benannt haben: Bougainvillea. So kam es, dass Jeanne Baret, meine Großtante, als erste Frau die Welt umsegelt hat. Und so fand sie auch ihren Mann, Philippe Commerson, meinen Großonkel. Er war einer der Expeditionnaires und ebenfalls ein großer Gelehrter.«
Paulette freute sich, Zachary übertrumpft zu haben, und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Sie sehen also, Mr. Reid, manchmal kommt es doch vor, dass eine Frau Mitglied einer Schiffsbesatzung wird.«
Zachary nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinglas, aber der Bordeaux war ihm keine große Hilfe bei dem Versuch, Paulettes Geschichte zu verdauen. Er stellte sich vor, eine Frau würde Ähnliches auf der Ibis versuchen, und war überzeugt, dass man sie binnen Tagen, wenn nicht sogar Stunden entlarven würde. Er dachte an die Hängematten, die so dicht nebeneinanderhingen, dass die ganze Back in Bewegung geriet, wenn einer der Männer sich herumwälzte; er dachte an die Langeweile in den frühen Morgenstunden und an die Wettbewerbe, bei denen die Männer ihre Hosenlätze leewärts öffneten und probierten, wer am meisten Meeresleuchten zu entzünden vermochte; er dachte an das Ritual des wöchentlichen Badens bei den Leespeigatten an Deck, wenn die Teerjacken sich nackt auszogen, um ihre einzige Garnitur Unterwäsche zu waschen. Wie konnte eine Frau da mitmachen? Vielleicht auf einem Schiff voller Froschfresser – wer weiß, auf was für einen Unfug die Franzosen verfielen –, aber ein Baltimoreklipper war eine Männerwelt, und kein waschechter Seebär würde es anders haben
wollen, da mochte er dem weiblichen Geschlecht noch so zugetan sein.
Als Zachary schwieg, fragte Paulette: »Glauben Sie mir nicht, Mr. Reid?«
»Also, Miss Lambert, auf einem französischen Schiff wäre so etwas vielleicht möglich«, antwortete er widerstrebend und konnte es sich dann nicht verkneifen hinzuzufügen: »Ist ja auch nicht die leichteste Übung, eine Mamsell von einem Musjöh zu unterscheiden.«
»Mr. Reid …!«
»Nichts für ungut …«
Während Zachary um Entschuldigung bat, kam ein Brotkügelchen über den Tisch geflogen und traf Paulette am Kinn. Sie schaute hinüber und sah Mrs. Doughty lächelnd die Augen verdrehen, wie um kundzutun, dass eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit im Gange sei. Paulette blickte verwundert um sich, konnte aber nichts irgendwie Bemerkenswertes entdecken, ausgenommen Mrs. Doughty selbst: Die Frau des Lotsen war extrem korpulent, und ihr rundes Gesicht hing wie der untergehende Mond unter einer großen Wolke hennaroter Haare. So wie sie gestikulierte und Grimassen schnitt, schien sich eine Art Erdbeben in ihr zu ereignen. Paulette wandte schnell den Blick ab. Sie hegte große Furcht davor, Mrs. Doughtys Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, denn die Frau des Lotsen neigte dazu, sich weitschweifig
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