Das mohnrote Meer - Roman
diese Weise ein wunderbar kühlendes Lüftchen entstehen, theoretisch zumindest – bei Regenwetter erhöhte der Luftkühler die Luftfeuchtigkeit noch beträchtlich, alle schwitzten noch mehr als ohnehin schon, und der Lärm, den die Maschine machte, übertönte häufig die Gespräche. Mr. Burnham und Mr. Doughty gehörten zu den wenigen, die sich trotzdem mühelos verständlich machen konnten, Leute mit leiseren Stimmen aber mussten oft schreien, was wiederum noch mehr Schweiß fließen ließ. Früher, mit tauben Colonels und gebrechlichen Buchhaltern als Tischnachbarn, hatte Paulette die
Einführung des Geräts oft bedauert, heute aber war sie uneingeschränkt froh über die Neuerung, denn sie ermöglichte es ihr, mit Zachary zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen, dass jemand mithörte.
»Darf ich fragen, Mr. Reid«, sagte sie, »wo Jodu jetzt ist? Was macht er?«
»Er versucht, etwas Geld zu verdienen, während die Ibis überholt wird. Er hat mich um ein kleines Darlehen gebeten, damit er sich ein Fährboot mieten kann. Wenn wir klar zum Auslaufen sind, kommt er wieder an Bord.«
Paulette dachte an die trägen Tage zurück, als sie und Jodu in den Bäumen des Botanischen Gartens gesessen und die Schiffe auf dem Hooghly beobachtet hatten. »Dann geht sein Wunsch also in Erfüllung? Er wird Mitglied der Besatzung?«
»So ist es – ganz Ihrem Wunsch entsprechend. Er fährt im September mit uns nach Port Louis.«
»Tatsächlich? Er fährt nach Mauritius?«
»Ja. Kennen Sie die Inseln?«
»Nein, ich war nie dort, obwohl sie einmal die Heimat meiner Familie waren. Mein Vater war Botaniker, müssen Sie wissen, und in Mauritius gibt es einen ganz berühmten Botanischen Garten. Meine Eltern haben dort geheiratet. Deshalb zieht es mich so dorthin …« Sie brach ab. Plötzlich erschien es ihr unerträglich ungerecht, dass Jodu nach Mauritius konnte und sie mit all ihren älteren Rechten nicht.
»Was haben Sie?« Ihre Blässe beunruhigte Zachary. »Fühlen Sie sich nicht wohl, Miss Lambert?«
»Mir ist gerade eine Idee gekommen.« Paulette versuchte, ihren Gedankensprung zu verharmlosen. »Ich würde auch gern mit der Ibis nach Mauritius fahren. Und wie Jodu auf dem Schiff arbeiten.«
Zachary lachte. »Glauben Sie mir, Miss Lambert, so ein
Schiff ist kein Ort für eine Frau – Verzeihung, eine Dame, meine ich. Schon gar nicht für eine, die ein solches Leben gewöhnt ist …« Er zeigte auf den opulent beladenen Tisch.
»Ach ja, ist das so, Mr. Reid?« Paulette zog die Brauen hoch. »Ihrer Meinung nach ist es also nicht möglich, dass eine Frau ein marin wird?«
Oft, wenn Paulette ein Wort nicht einfiel, entlehnte sie eins aus dem Französischen in der Hoffnung, dass es als Englisch durchgehen würde, wenn sie es genauso aussprach, wie es geschrieben wurde. Diese Strategie war erfolgreich genug, um beibehalten zu werden, zeitigte aber gelegentlich unerwartete Ergebnisse. Zacharys Gesichtsausdruck sagte Paulette, dass dies nun der Fall war.
»Ein marine – ein Seesoldat?«, fragte er verwundert. »Nein, Miss Lambert, dass es weibliche Seesoldaten gibt, davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Matrose!«, sagte Paulette triumphierend. »Das war’s, was ich gemeint habe. Sie halten es nicht für möglich, dass eine Frau zur See fährt?«
»Als Frau des Kapitäns vielleicht.« Zachary schüttelte den Kopf. »Aber ganz bestimmt nicht als Besatzungsmitglied. Kein Seemann, der seine Heuer wert ist, würde das dulden. Viele Seeleute würden das Wort ›Frau‹ an Bord nicht mal aussprechen, weil sie glauben, es bringt Unglück.«
»Ach! Dann haben Sie offensichtlich noch nie etwas von der berühmten Madame Commerson gehört!«
»Kann mich nicht erinnern, Miss Lambert.« Zachary runzelte die Stirn. »Unter welcher Flagge segelt sie denn?«
»Madame Commerson war kein Schiff, Mr. Reid. Sie war Wissenschaftlerin – meine Großtante, um präzise zu sein. Und ich erlaube mir, Ihnen mitzuteilen, dass sie als junge Frau auf einem Schiff angeheuert hat und um die ganze Welt gesegelt ist.«
»Tatsache?«, fragte Zachary skeptisch.
»Ja, allerdings. Vor ihrer Heirat hieß sie Jeanne Baret. Schon als Kind hatte sie eine glühende Passion für die Naturwissenschaft. Sie las über Linné und die vielen neuen Pflanzen- und Tierarten, die ständig entdeckt und beschrieben wurden. Das alles weckte in ihr den brennenden Wunsch, die Schätze der Erde mit eigenen Augen zu sehen. Eines Tages erfuhr sie dann von einer
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