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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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1813 gewesen sein, also vor beiläufig fünfundzwanzig Jahren. Vor der Insel Hainan festgekommen. Die meisten Besatzungsmitglieder konnten sich nach Macao durchschlagen. Aber eins der Rettungsboote des Schiffes wurde vermisst, mit zehn, fünfzehn Mann an Bord, unter ihnen Danby. Wie es den anderen ergangen ist, weiß ich nicht, aber so viel ist sicher: Danby ist in einer Bande von Ladrones gelandet.«

    »Haben sie ihn gefangen genommen?«
    »Entweder das, oder er wurde an den Strand gespült. Wahrscheinlich Letzteres, wenn man bedenkt, was er anschließend gemacht hat.«
    »Nämlich was?«
    »Er ist ein Handlanger der Ladrones geworden, praktisch einer von ihnen. Hat eine ihrer Frauen geheiratet. Sich in Laken und Geschirrtücher gehüllt. Ihr Kauderwelsch gelernt. Mit Stäbchen Schlangen gegessen. Die ganze Latte. Kann es ihm nicht mal verdenken. Er war nur ein kleiner Schiffsjunge gewesen, aus Shoreditch oder irgendeinem anderen Londoner Armenviertel. Hat auf einem Schiff angeheuert, kaum dass er laufen konnte. Kein Zuckerlecken, so eine Arbeit. Den ganzen Tag schuften und die ganze Nacht hindurch die alten Böcke abwehren. Kaum was zu essen außer Labskaus und altem Pferdefleisch. Dazu oft genug Prügel. Und die Windsbraut das einzige weibliche Wesen weit und breit. Eine Ladrones-Dschunke mit ihren Fressalien und ihren Lustbarkeiten muss ihm wie ein Stück vom Paradies erschienen sein. Die mussten sich wahrscheinlich gar nicht groß anstrengen, um ihn rumzukriegen – wahrscheinlich hat er sich die ganze Zeit unter einer Möse ausgeruht, bis er wieder auf die Beine kam. Aber dumm war er nicht, unser Danby, der hatte Grips. Hat sich eine richtige Teufelei ausgedacht. Er machte sich landfein und fuhr in eine Hafenstadt wie Manila oder Anjer. Die Ladrones schlichen sich hinter ihm hinein und suchten sich ein unterbemanntes Schiff aus. Danby heuerte als Steuermann an, die Ladrones als Laskaren. Niemand schöpfte natürlich irgendeinen Verdacht. Ein Weißer, der etwas für einen Haufen Schlitzaugen ausbaldowert? Auf so was wäre kein Skipper je gekommen. Und Danby spielte auch den feinen Pinkel. Kaufte sich die besten Sachen, die man im Orient finden
konnte. Hat sich nicht in die Karten schauen lassen, bis das Schiff auf hoher See war. Dann waren sie auf einmal da und haben ihre Flagge geheißt, Danby hat die Offiziere entwaffnet, und die Ladrones haben den Rest erledigt. Sie haben die Gefangenen in die Boote gesetzt und die Leinen gekappt. Und dann sind sie mit ihrer Prise auf und davon. Es war wirklich ein teuflisch genialer Plan. Irgendwo vor Java Head hat sie dann ihr Glück verlassen. Wurden von einem englischen Kriegsschiff aufgebracht, als sie sich mit einem frisch gekaperten Schiff davonmachen wollten. Danby kam wie die meisten seiner Kumpane ums Leben. Aber ein paar von den Ladrones konnten entkommen. Durchaus denkbar, dass einer von ihnen Ihre Uhr da versetzt hat.«
    »Meinen Sie wirklich, Sir?«
    »Aber sicher«, sagte der Kapitän. »Meinen Sie, Sie würden die Pfandleihe wiederfinden?«
    Zachary geriet ins Stottern. »Ich glaube … ich glaube schon, Sir.«
    »Jedenfalls müssen Sie, sobald wir in Port Louis sind, zur Polizei gehen und Ihre Geschichte erzählen.«
    »Im Ernst, Sir? Warum?«
    »Ach, ich könnte mir vorstellen, die sind sehr daran interessiert, den Vorbesitzer ausfindig zu machen.«
    Zachary kaute auf seiner Unterlippe und sah wieder auf seine Uhr. Er dachte an den Moment, als der Serang sie ihm gegeben hatte. »Und wenn die den Vorbesitzer schnappen, Sir?«, fragte er. »Was werden sie Ihrer Meinung nach mit ihm machen?«
    »Ach, die werden ihn hochnotpeinlich verhören, könnte ich mir vorstellen«, sagte der Kapitän. »Und wenn sich irgendeine Beziehung zu Danby nachweisen lässt, werden sie ihn hängen. Eins ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Für jedes Mitglied
der Danby-Bande, das noch auf freiem Fuß ist, liegt schon ein Henkerstrick bereit.«

    Nach einigen Tagen begannen sich die meisten der Auswanderer von der Seekrankheit zu erholen, andere aber zeigten keinerlei Anzeichen einer Besserung, und einige wurden immer schwächer und hilfloser; man konnte förmlich zusehen, wie sie verfielen. Es waren nicht viele, aber die Wirkung auf die übrigen war unverhältnismäßig stark. Im Verein mit all den vorhergehenden Unbilden der Reise schuf ihr Zustand eine Atmosphäre der Entmutigung und Verzagtheit, und viele, die sich wieder erholt hatten, begannen von Neuem zu leiden.
    Alle

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