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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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paar Tage besprengten die Mistris die Ränder des Laderaums mit Essig oder Kalk und gaben einigen der Patienten ein übel riechendes, zähflüssiges Gebräu zu trinken. Viele spuckten es, sobald die Wachen den Rücken gekehrt hatten, sofort wieder aus, denn es ging das Gerücht, diese sogenannte Medizin sei aus Hufen und Hörnern von Schweinen, Rindern und Pferden bereitet worden. Jedenfalls zeitigte sie bei den am schlimmsten Betroffenen – etwa einem Dutzend – nicht die geringste Wirkung.
    Als Nächster starb ein dreißigjähriger Kupferschmied aus Ballia, ein einst kräftiger, nun aber zum Skelett abgemagerter Mann. Er hatte keine Verwandten an Bord und nur einen einzigen Freund, der selbst zu krank war, um an Deck zu gehen, als der Leichnam ins Wasser geworfen wurde.
    Diti war zu diesem Zeitpunkt noch zu schwach, um sich aufzusetzen oder das Geschehen zu registrieren, beim nächsten Todesfall aber befand sie sich bereits auf dem Weg der Besserung. Diesmal war der Tote ein junger Muslim, ein Weber aus Pirpainti, der mit zwei Cousins zusammen reiste. Seine
Gefährten waren noch jünger als er, und keiner von ihnen war imstande zu protestieren, als ein Trupp Silahdars in den Laderaum kam und ihnen befahl, den Leichnam hochzuheben, damit man ihn an Deck bringen und über Bord werfen konnte.
    Diti war nicht eben geneigt, sich einzumischen, doch als deutlich wurde, dass niemand etwas sagen würde, konnte sie nicht anders. »Wartet!«, rief sie den beiden Jungen zu. »Ihr könnt ihn nicht einfach wegwerfen wie Zwiebelschalen.«
    Die drei Silahdars stellten sich wütend um sie herum auf. »Halt dich da raus, das geht dich nichts an.«
    »Das geht uns sehr wohl etwas an«, gab sie scharf zurück. »Er ist zwar tot, aber er ist immer noch einer von uns.«
    »Was erwartest du denn? Sollen wir vielleicht jedes Mal einen tamāshā darum machen, wenn ein Kuli stirbt?«
    »Wir wollen nur ein bisschen Respekt … es ist nicht in Ordnung, uns so zu behandeln.«
    »Und wer will uns daran hindern?«, kam die höhnische Antwort. »Du etwa?«
    »Ich vielleicht nicht«, sagte Diti. »Aber hier sind andere …«
    Unterdessen waren viele der Girmitiyas aufgestanden, nicht um den Silahdars die Stirn zu bieten, sondern vor allem aus Neugier. Die drei Männer aber bekamen es mit der Angst zu tun. Sie zogen sich langsam an den Niedergang zurück, und einer von ihnen fragte jetzt plötzlich in versöhnlichem Ton: »Was soll dann mit ihm geschehen?«
    »Gebt seinen Verwandten Zeit, darüber zu beraten«, antwortete Diti. »Sie können entscheiden, was getan werden muss.«
    »Mal hören, was der Subedar dazu sagt.«
    Damit stiegen die Wachen wieder an Deck, und nach etwa einer halben Stunde rief einer von ihnen durch die Luke nach
unten, der Subedar sei damit einverstanden, dass die Verwandten des Mannes sich selbst um ihn kümmerten. Dieses Zugeständnis wurde jubelnd begrüßt, und etliche Männer erboten sich, ihn an Deck tragen zu helfen.
    Später kamen die Verwandten des Toten zu Diti, um ihr zu sagen, dass er vorschriftsmäßig gewaschen worden sei, bevor man ihn dem Meer übergeben habe. Alle waren sich darin einig, dass dies ein beachtlicher Sieg war, und selbst die streitsüchtigsten oder neidischsten unter den Männern mussten zugeben, dass sie ihn weitgehend Diti zu verdanken hatten.
    Nur Kalua war nicht ganz glücklich über den Ausgang. »Diesmal mag Bhairo Singh ja noch nachgegeben haben«, flüsterte er Diti ins Ohr, »aber froh ist er darüber nicht. Er wird sich fragen, wer hinter dem ganzen Ärger steckt, und ob es nicht dieselbe Frau ist wie schon einmal.«
    Doch Diti, von ihrem Erfolg beschwingt, tat seine Worte mit einem Achselzucken ab. »Was kann er uns jetzt noch anhaben?« , fragte sie. »Wir sind auf See – zurückschicken kann er uns schließlich nicht, oder?«

    »Außenklüver bergen!«
    Fast den ganzen Vormittag war der Schoner hart am auffrischenden Wind gelaufen; alle Segel waren gesetzt, und das Schiff hatte gute Fahrt gemacht. Doch nun, als die Sonne im Zenith stand, hatte der Seegang so zugenommen, dass immer wieder große Brecher überkamen. Zachary in seinem Stolz auf die Ibis wollte weiter unter vollem Zeug segeln, musste sich jedoch dem Kapitän beugen, der befahl, die Segelfläche zu verkleinern.
    »Achtung!«
    Zum Einholen des Außenklüvers musste normalerweise
nur ein Mann aufentern, meist der kleinste und schnellste der Vortoppmänner. Der Laskare enterte fast bis zum Mastknopf des Fockmasts auf

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