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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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zu. »Darf ich fragen, wie Sie zu dieser Uhr gekommen sind, Reid?«
    »Ja, also, Sir …«
    Wären sie allein gewesen, hätte Zachary dem Kapitän ohne Zögern geantwortet, dass Serang Ali ihm die Uhr geschenkt hatte. Doch Mr. Crowle war in Hörweite, und Zachary wollte ihm nicht noch weitere Stichwörter für seine Seitenhiebe liefern. »Die habe ich in einer Pfandleihe in Kapstadt erstanden, Sir.«
    »Was Sie nicht sagen! Das ist ja hochinteressant. Wirklich sehr interessant.«
    »Ach ja. In welcher Hinsicht, Sir?«
    Der Kapitän schaute zur Sonne empor und wischte sich das Gesicht ab. »Das ist eine längere Geschichte. Lassen Sie uns unter Deck gehen, da können wir uns setzen.«
    Sie überließen das Deck dem Ersten Steuermann, gingen in die Messe hinunter und setzten sich an den Tisch.
    »Haben Sie diesen Adam Danby gekannt, Sir?«, fragte Zachary.
    »Nein. Bin ihm nie begegnet. Aber früher war er hier herum weithin bekannt. Natürlich lange vor Ihrer Zeit.«
    »Und wer war er, Sir, wenn ich fragen darf?«
    »Danby?« Der Kapitän lächelte schwach. »Kein anderer als ›der weiße Ladron‹.«
    »›Ladron‹, Sir?«
    »Die Ladrones sind die Piraten des Südchinesischen Meeres, Reid; benannt nach einer Inselgruppe vor der Bocca-Tigris, der Tigerpforte. Heute sind kaum noch welche von ihnen
übrig, aber früher waren sie die schrecklichste Mörderbande auf See. Als ich noch ein junger Kerl war, hatten sie einen Anführer namens Cheng-I. Ein brutaler Schlächter war das. Die Küste rauf und runter ist er gefahren, bis nach Cochinchina, und hat mit seinen Spießgesellen Dörfer geplündert, die Bewohner niedergemacht oder verschleppt. Hatte auch eine Frau – ein Weibsstück aus einem Bordell in Kanton. ›Madame Cheng‹ haben wir sie genannt. Aber die Frau hat Mr. Cheng nicht gereicht. Auf einem seiner Raubzüge hat er einen jungen Fischer gefangen genommen und sich von da an auch mit dem verlustiert. Das hätte Madame Cheng sauer aufstoßen müssen, meinen Sie? Weit gefehlt. Als der alte Cheng-I gestorben ist, hat sie ihren Rivalen geheiratet! Und die beiden haben sich zu König und Königin der Ladrones erklärt!«
    Der Kapitän wiegte gedankenverloren den Kopf. »Man möchte meinen, das saubere Pärchen wäre von der eigenen Mannschaft aufgeknüpft worden, nicht wahr? Aber nein. In China kommt immer alles anders, als man denkt. Immer wenn man glaubt, man hätte die Schlitzaugen endlich durchschaut, führen sie einen wieder an der Nase herum.«
    »Wie meinen Sie das, Sir?«
    »Na ja, stellen Sie sich vor: Madame Cheng und ihr ehemaliger Nebenbuhler wurden von den Strolchen als Anführer akzeptiert und bauten sich in der Folgezeit ein regelrechtes Piratenreich auf. Irgendwann hörten nicht weniger als zehntausend Dschunken mit über hunderttausend Mann auf ihr Kommando! Das Weib hat dem Kaiser so die Hölle heiß gemacht, dass er einen Feldzug gegen sie unternommen hat. Nach ein, zwei Jahren war es dann aus mit ihr. Ihre Flotte war zerschlagen, und sie hat kapituliert, zusammen mit ihrem Mann.«
    »Und was ist aus ihnen geworden?«, wollte Zachary wissen.

    Der Kapitän gab ein schnaubendes Lachen von sich. »Man würde meinen, sie hätten alsbald am Galgen gebaumelt, oder? Aber nein, auch das wäre für die Himmelssöhne ein zu geradliniger Kurs gewesen. Den jungen Kerl haben sie zum Mandarin gemacht, und Madame Cheng, die kam mit einer Ermahnung und einer Geldstrafe davon. Sie ist heute noch in Kanton zugange. Führt eine Kneipe, was man so hört.«
    »Und Danby, Sir? Hatte der was mit Madame Cheng und ihren Leuten zu tun?«
    »Nein«, sagte der Kapitän. »Sie war schon nicht mehr aktiv, als er in diese Gewässer kam. Ihre Anhänger – die wenigen, die noch übrig waren – hatten sich zu kleinen Banden zusammengetan. Ihre Dschunken waren nicht von anderen einheimischen Booten zu unterscheiden – kleine schwimmende Dörfer waren das, mit Schweinen und Hühnern, Obstbäumen und Gemüsegärten. Ihre Frauen und Kinder waren auch mit an Bord. Manche dieser Dschunken waren nicht besser als die üblichen Kantoner Blumenboote, halb Spielhölle, halb Puff. Sie haben sich in den Buchten und Deltas versteckt, Küstenschiffe überfallen und gestrandete Schiffe geplündert. Auf diese Weise ist ihnen Danby in die Hände gefallen.«
    »Er hat Schiffbruch erlitten, Sir?«
    »Genau.« Der Kapitän kratzte sich am Kinn. »Lassen Sie mich überlegen: Wann ist die Lady Duncannon auf Grund gelaufen? Das muss so 1812 oder

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