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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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und löste den Knoten, der den Kopf des Segels sicherte, während die anderen unten warteten, um das Segel zu bergen. Eigentlich wäre es Jodus Aufgabe gewesen, allein aufzuentern, aber Mamdu-Tindal hasste es, auf dem Klüverbaum zu arbeiten, vor allem wenn dieser immer wieder untertauchte, sodass alle, die sich an ihn klammerten, durchnässt wurden. Unter dem Vorwand, kontrollieren zu müssen, ob Jodu alles richtig machte, folgte er Jodu auf den Mast und machte es sich auf der Luvseite der Bramrah gemütlich, während Jodu noch weiter hinaufkletterte, um sich mit dem Knoten abzumühen.
    »Schot dichtholen!«
    »Feststecken!« Mamdu-Tindals Warnung kam in dem Moment, als der Knoten sich löste.
    Ganz plötzlich, wie in Panik, schlug das Segel hoch und warf sich gegen Jodu; es war, als wollte ein Schwan seinen Verfolger durch heftiges Schlagen mit den Schwingen vertreiben. Gerade noch rechtzeitig schlang Jodu beide Arme um den Mast und klammerte sich daran, während die Männer unten anfingen, die Winschen zu betätigen, um das Segel einzuholen. Doch bei dem starken Wind flappte das Segel immer wieder nach oben, als wollte es Jodu in die Hacken beißen.
    »Siehst du«, sagte Mamdu-Tindal voller Befriedigung, »das ist doch nicht so leicht, wie ihr jungen Kerle denkt.«
    »Leicht? Wer denkt denn so was?«
    Jodu ließ sich ein Stück herabrutschen und setzte sich rittlings auf die Bramrah, sodass er mit dem Rücken zum Tindal saß und der Mast zwischen ihnen war. Auf beiden Seiten des Schoners war die See mit den breiten dunklen Schatten der
Wellentäler gestreift. Oben auf der Rah, wo das Schwanken des Schiffes durch die Höhe des Masts verstärkt wurde, war es, als säßen sie auf einer im Wind schwankenden Palme. Jodu sicherte sich noch zusätzlich, indem er seine Arme durch die Stage flocht, denn bei diesem Seegang hätte ein Sturz den sicheren Tod bedeutet. Bei solchem Wind hätte es mindestens eine Stunde gedauert, um mit dem Schoner beizudrehen und auf Gegenkurs zu gehen, und die Überlebenschancen eines über Bord gegangenen Mannes wären so gering gewesen, dass die Offiziere wahrscheinlich gar keine Kursänderung befohlen hätten. Dennoch ließ es sich nicht leugnen, dass die Gefahr einen gewissen Reiz hatte.
    Mamdu-Tindal sah das auch so. Er zeigte auf die äußerste Spitze des Klüverbaums, den die Laskaren Shaitān-jīb – »Teufelszunge« – nannten, weil schon viele Seeleute dort ihr Leben gelassen hatten. »Gut, dass wir hier oben sind«, sagte er. »Schau dir nur die armen Schweine da unten an – die gehen baden wie noch nie. Chhi! Da würde Gasitis Kajal schön verlaufen !«
    Jodu schaute hinab und sah, dass die Teufelszunge mitsamt den rittlings auf ihr sitzenden Laskaren immer wieder tief eintauchte, wobei jedes Mal Wasserfächer über das Deck schwappten und die Auswanderer durchnässten, die zum Mittagessen aus dem Zwischendeck heraufkamen. Unter Jodus Füßen und dem Fußpferd war ein breiter Spalt zwischen dem geblähten Marssegel und dem Bramsegel, und durch diese Lücke konnte er auf die Rumpfmitte hinabschauen. Dort unten entdeckte er zwei in Saris gekleidete Gestalten, die unter den Davits saßen. An der Farbe des Saris erkannte er, dass eine der beiden Munia war, und die Neigung ihres verschleierten Kopfes sagte ihm, dass sie zu ihm hochschaute.
    Dieser Blickwechsel entging Mamdu-Tidal nicht. Er griff
mit einem Arm um den Mast herum und versetzte Jodu einen Rippenstoß. »Glotzt du schon wieder dieses Mädchen an, du hirnverbrannter Trottel?«
    Überrascht von dem groben Tonfall sagte Jodu: »Anschauen wird doch wohl noch erlaubt sein, Mamduji?«
    »Pass mal auf, Kleiner«, sagte Mamdu-Tindal. »Begreifst du das denn nicht? Du bist ein Laskare, und sie ist ein Kuli. Du bist Moslem, sie nicht. Da ist für dich nichts zu holen, höchstens eine Auspeitschung. Kapiert?«
    Jodu musste lachen. »Are Mamduji«, sagte er, »manchmal nimmst du die Dinge zu ernst. Was ist denn gegen ein paar Scherze und ein bisschen Lachen einzuwenden? Hilft das nicht, die Zeit zu vertreiben? Und hast du nicht selber gesagt, dass Gasiti, als sie in meinem Alter war, jeden gekriegt hat, den sie wollte – dass keine Koje, keine Hängematte vor ihr sicher war?«
    »Tchhi! « Der Tindal drehte sich nach Lee und spie einen Klumpen Speichel aus, der über die Rah davonsegelte und auf der anderen Seite des Schoners im Wasser landete. »Hör mir zu, Junge. Das ist was ganz anderes, und wenn du das nicht begreifst, brauchst

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