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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Vorsicht.«
    Der Kapitän richtete seine brennenden Augen kurz auf Zachary. »Glauben Sie mir, viele Jahre lang habe ich höchstens eine Pfeife pro Monat geraucht – und falls Sie glauben, solche Mäßigung sei unmöglich, dann sollen Sie wissen, dass sie nicht nur möglich, sondern sogar die Regel ist. Es ist töricht, sich vorzustellen, Sir, dass jeder, der einmal eine Pfeife anrührt, augenblicklich dazu verdammt ist, in einer verräucherten Höhle dahinzusiechen. Die große Mehrheit derer, die ab und zu ›den Drachen jagen‹, tut das höchstens ein- bis zweimal im Monat – nicht aus Knickrigkeit, sondern weil gerade diese Zurückhaltung den erlesensten, raffiniertesten Genuss gewährleistet. Natürlich gibt es auch einige, die vom ersten Zug an wissen, dass sie dieses rauchige Paradies nie wieder verlassen werden – das sind die wahren Süchtigen, und die sind es nicht geworden, sondern bekamen es in die Wiege gelegt.
Aber damit ein normal veranlagter Mann – und zu denen zähle ich mich – an das schwarze Zeug gerät, dafür braucht es schon etwas anderes, einen Schicksalsschlag, einen geschäftlichen Misserfolg … oder vielleicht, wie es bei mir der Fall war, einen persönlichen Rückschlag, zu dem sich bei mir noch eine schwere Krankheit gesellte. Damals hätte ich gewiss kein besseres Heilmittel für all meine Übel finden können …«
    Er brach ab und sah Zachary an. »Sagen Sie mir, Reid: Wissen Sie, welches die wunderbarste Eigenschaft dieser Substanz ist?«
    »Nein, Sir.«
    »Dann will ich es Ihnen sagen: Sie tötet die Begierden des Mannes ab. Dadurch wird sie zum Manna des Seemanns, zum Balsam für seine schlimmsten Heimsuchungen. Sie besänftigt die unaufhörlichen fleischlichen Qualen, die uns über die Meere treiben, uns dazu bringen, uns gegen die Natur zu versündigen …«
    Der Kapitän schaute auf seine Hände, die jetzt zitterten. »Wissen Sie was, Reid?«, fragte er unvermittelt. »Genug des Geredes. Da wir nun schon mal diesen Kurs eingeschlagen haben, lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen: Möchten Sie nicht gern einmal einen Zug probieren? Sie werden sich diesem Experiment nicht auf ewig entziehen können, das versichere ich Ihnen. Die Neugier allein wird Sie dazu treiben. Sie würden staunen …« – er musste lachen –, »Sie würden staunen, wenn Sie wüssten, wer alles von meinen Passagieren schon einmal das Rauchsegel heißen wollte: bibelfeste Teufelsaustreiber, ernsthafte Reichsgründer, fest geschnürte Matronen, undurchdringlich in ihrer Prüderie. Wenn Sie künftig die Opiumroute segeln, wird der Tag kommen, an dem auch Sie das Fass aufmachen werden. Also warum nicht jetzt gleich? Ist der Zeitpunkt nicht so gut wie jeder andere?«

    Zachary starrte wie hypnotisiert auf die Pfeife und ihren schlanken, polierten Stiel. »Doch, gewiss, Sir«, sagte er. »Warum nicht?«
    »Gut.«
    Der Kapitän griff in eine Schublade und nahm eine Lackdose heraus, die der Pfeife in Machart und Glanz nicht nachstand. Als er den Deckel abhob, kamen mehrere Gerätschaften zum Vorschein, die säuberlich geordnet in mit roter Seide ausgeschlagenen Vertiefungen ruhten. Wie ein Apotheker nahm er eine nach der anderen heraus und legte sie vor sich auf den Tisch: eine Nadel mit Metallspitze und Bambusgriff, einen ähnlich gestalteten langen Löffel, ein winziges Silbermesser und ein rundes Schächtelchen aus Elfenbein, so kunstvoll beschnitzt, dass Zachary sich nicht gewundert hätte, wenn es einen Rubin oder einen Diamanten enthalten hätte. Doch stattdessen lag ein Klumpen Opium darin, von stumpfem Aussehen und lehmiger Farbe und Konsistenz. Mit dem Messer schnitt Kapitän Chillingworth ein winziges Stückchen davon ab und legte es in die Schale des langstieligen Löffels. Dann nahm er den Zylinder von der Lampe ab, hielt den Löffel direkt über die Flamme und wartete, bis die Masse sich verflüssigte. Mit den feierlichen Bewegungen eines Priesters bei einer rituellen Handlung reichte er Zachary nun die Pfeife: »Ziehen Sie kräftig daran, sobald ich das Tröpfchen hineingetan habe. Ein bis zwei Züge, dann ist es vorbei.« Mit äußerster Sorgfalt tauchte der Kapitän nun die Nadelspitze in das Opium und hielt sie über die Flamme. Als der Tropfen zu zischen begann, ließ er ihn rasch in den Pfeifenkopf fallen. »Ja! Jetzt! Lassen Sie nichts entweichen!«
    Zachary schloss die Lippen um das Mundstück und sog den dicken, öligen Rauch ein.
    »Noch mal! Behalten Sie den Rauch

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