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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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fernes Läuten vernahm, glitt der Schleier von ihrem Gesicht, und er sah, dass es Paulette war; sie kam auf ihn zu, schmiegte sich in seine Arme, bot ihm ihren Mund zum Kuss dar. Er erwachte schweißgebadet und registrierte nur ganz verschwommen, dass gerade das achte Glasen verklungen war und dass er jetzt Wache hatte.

    Ein Heiratsantrag war eine heikle Angelegenheit, und Diti musste Zeit und Ort sorgfältig wählen, um die Sache mit Hiru besprechen zu können, ohne dass jemand mithörte. Erst am nächsten Morgen, als die beiden Frauen einmal allein auf dem Hauptdeck waren, ergab sich eine Gelegenheit. Diti fasste Hiru am Ellenbogen und führte sie zu den Davits.
    »Was ist, bhaujī? «
    Es kam nicht oft vor, dass Hiru überhaupt von irgendjemandem beachtet wurde, und sie begann furchtsam zu stottern,
weil sie glaubte, etwas falsch gemacht zu haben und deswegen gescholten zu werden. »Stimmt etwas nicht?«
    Diti lächelte hinter ihrem ghūnghat . »Nein, nein, Hiru, alles in Ordnung. Ich bin heute sogar sehr glücklich. Ich habe Neuigkeiten für dich.«
    »Neuigkeiten? Was für Neuigkeiten?« Hiru grub die Knöchel in ihre Wangen und wimmerte: »Gute oder schlechte?«
    »Das musst du selbst entscheiden. Hör zu …«
    Kaum hatte Diti mit ihrer Erklärung begonnen, da wünschte sie auch schon, sie hätte einen anderen Schauplatz für das Gespräch gewählt, einen Ort, an dem sie ihre ghūnghats hätten abstreifen können. Durch die Schleier hindurch konnte sie unmöglich erkennen, wie Hiru aufnahm, was sie sagte. Aber nun war es zu spät, sie musste weitermachen.
    Nachdem sie Hiru in allen Einzelheiten von dem Antrag berichtet hatte, fragte sie: »Und, Hiru? Was sagst du dazu?«
    »Was soll ich dazu sagen?«
    Ihre Stimme verriet, dass sie weinte, und so legte Diti den Arm um sie und zog sie an sich. »Hab keine Angst, Hiru, du kannst sagen, was immer du möchtest.«
    Mehrere Minuten vergingen, bis Hiru wieder sprechen konnte, und auch dann war es nur ein gehetztes, von Schluchzen unterbrochenes Gestammel. »Bhaujī … Ich hätte nicht gedacht … hab nicht erwartet … bist du sicher? In Marich werden alleinstehende Frauen in Stücke gerissen, heißt es … und verschlungen … so viele Männer und so wenige Frauen … kannst du dir vorstellen, bhaujī , wie es wäre, dort allein zu sein? O bhaujī … ich hätte nie gedacht …«
    Diti wusste nicht recht, worauf sie hinauswollte. »Über die Zukunft kannst du morgen reden«, sagte sie streng. »Was sagst du jetzt?«
    »Was soll ich denn noch sagen, bhaujī? Ja, ich bin bereit …«

    Diti lachte. »Are , Hiru! Du traust dich was!«
    »Wieso sagst du das, bhaujī? «, fragte Hiru ängstlich. »Meinst du, ich mache einen Fehler?«
    »Nein«, antwortete Diti bestimmt. »Jetzt wo du dich entschieden hast, kann ich’s dir ja sagen. Ich glaube nicht, dass du einen Fehler machst. Ich glaube, er ist ein guter Mann. Außerdem hat er viele Anhänger und Verwandte, die werden sich um dich kümmern. Alle werden dich beneiden, Hiru – wie eine Königin!«

    Es war nicht ungewöhnlich, dass Paulette beim Wäschewaschen auf ein Hemd, eine baniyāin oder eine Hose von Zachary stieß. Fast unbewusst schob sie diese Kleidungsstücke unter die übrige Wäsche und hob sie sich bis zum Schluss auf. Dann wurden sie manchmal, je nach Laune, wütend geschrubbt oder gar mit der ganzen Kraft einer Wäscherin am dhobī -Ghat auf die Decksplanken geschlagen. Genauso konnte es jedoch vorkommen, dass Paulette viel Zeit und Mühe darauf verwandte, Kragen, Manschetten und Säume zu reinigen. Auf diese Weise wusch sie eines Tages wieder ein Hemd von Zachary, als Babu Nob Kissin neben ihr auftauchte. Er starrte das Kleidungsstück in ihren Händen an und sagte verstohlen flüsternd: »Ich nicht möchte eindringen in Ihr Privates, Miss, aber bitte ich darf fragen, dieses Hemd gehört Mr. Reid?«
    Paulette nickte, worauf er noch verstohlener flüsterte: »Nur eine Minute ich kann fühlen?«
    »Das Hemd?«, fragte Paulette erstaunt, da schnappte sich der Gumashta schon den verdrehten nassen Strang, zog ihn auseinander und gab ihn dann zurück. »Scheint, er trägt seit alter Zeit.« Er runzelte ratlos die Stirn. »Stoff fühlt extrem alt. Merkwürdig, nein?«
    Paulette war die Absonderlichkeiten des Gumashtas zwar
mittlerweile gewöhnt, aber diese kryptische Äußerung verwirrte sie. »Was ist daran merkwürdig, dass Mr. Reid alte Kleider hat?«
    »Ts, ts!«, der Gumashta schnalzte mit der Zunge,

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