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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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als ärgerte ihn Paulettes Unwissenheit ein wenig. »Wenn Avatar ist neu, wie können Kleider alt sein? Größe, Gewicht, Gemächt – alles muss ändern, nein, wenn erfolgt Änderung in äußerer Erscheinung? Ich selbst, ich musste kaufen neue Kleider. Großer finanzieller Aufwand war benötigt.«
    »Ich verstehe nicht, Nob Kissin Babu«, sagte Paulette. »Warum denn?«
    »Sie nicht können sehen?« Die Augen des Gumashtas wurden noch runder und quollen noch weiter vor. »Sie blind sind, oder was? Büsten sprießen, Haar wird länger. Neue Modalitäten definitiv hervortreten. Wie alte Kleider sollen anpassen?«
    Paulette musste in sich hineinlächeln und senkte den Kopf. »Aber Babu Nob Kissin«, sagte sie »Mr. Reid hat keine solche Veränderung durchgemacht. Seine alten Kleider werden es sicher noch eine Weile tun.«
    Der Gumashta reagierte überraschend heftig. Sein Gesicht schien vor Empörung anzuschwellen, und als er weitersprach, war es, als verteidigte er einen tief verwurzelten Glauben: »Wie Sie können behaupten so allgemein? Sofort ich kläre diesen Punkt.« Seine Hand fuhr in den Ausschnitt seines fließenden Gewandes, er zog ein Amulett hervor und entrollte ein vergilbtes Stück Papier. »Kommen her und sehen.«
    Paulette erhob sich, nahm die Liste und besah sie sich im sonnendurchleuchteten Dämmer ihres ghūnghat .
    »Ist Mannschaftsliste für Ibis vor zwei Jahren. Anschauen Mr. Reids Namen und sehen. Hundert Prozent Veränderung ist da.«

    Wie gebannt wanderten Paulettes Augen die Liste auf und ab, bis sie an einem Wort hängenblieben, das neben Zacharys Namen gekritzelt war: »schwarz«. Plötzlich ergab so vieles, was ihr seltsam oder unerklärlich erschienen war, einen Sinn: Zacharys intuitives Verständnis für ihre Situation, sein selbstverständliches Akzeptieren ihrer schwesterlichen Beziehung zu Jodu …
    »Ein Wunder, nein? Niemand kann bestreiten.« »Allerdings, Babu Nob Kissin. Sie haben recht.«
    Paulette erkannte nun, wie wunderbar falsch sie teilweise über Zachary geurteilt hatte. Wenn es auf der Ibis einen gab, der es, was die mehrfache Identität anbelangte, mit ihr aufnehmen konnte, dann war er es. Es war, als hätte ihr eine göttliche Instanz einen Boten gesandt, um ihr zu sagen, dass sie Seelengeschwister waren.
    Nun konnte nichts mehr sie davon abhalten, sich ihm zu offenbaren, doch bei dem bloßen Gedanken daran schauderte sie vor Angst. Wenn er nun glaubte, sie sei ihm auf die Ibis nachgelaufen? Und was sonst sollte er glauben? Wenn er sie auslachte, weil sie sich so erniedrigte? Die Vorstellung war ihr unerträglich.
    Sie blickte auf das schäumende Meer hinaus, und eine Erinnerung blitzte in ihr auf an einen Tag vor mehreren Jahren, als Jodu sie weinend über einem Roman vorgefunden hatte. Er hatte ihr das Buch aus der Hand genommen, hatte es verwundert durchgeblättert, es sogar am Rücken gefasst und geschüttelt, als könnte eine Nadel oder ein Dorn herausfallen, irgendein spitzer Gegenstand, der ihre Tränen erklärte. Als er nichts fand, hatte er gesagt: »Die Geschichte hat den Strom ins Fließen gebracht, stimmt’s?« Und als sie bejahte, hatte er verlangt, dass sie ihm den Inhalt von A bis Z wiedergab. Und so hatte sie ihm von Paul und Virginie erzählt, die im Exil auf
einer Insel aufwachsen, wo ihre unschuldige Kinderfreundschaft in eine dauerhafte Leidenschaft übergeht. Doch dann wird Virginie nach Frankreich zurückgeschickt, und sie müssen sich trennen. Den letzten Teil des Buches, in dem Virginie kurz vor dem Wiedersehen mit dem Geliebten bei einem Schiffbruch ums Leben kommt, mochte Paulette am liebsten, und sie hatte Jodu das tragische Ende ausführlich geschildert. Zu ihrer Empörung aber hatte er die traurige Geschichte mit schallendem Gelächter quittiert und gemeint, nur ein Dummkopf könne über einen so wirren, sentimentalen Unsinn Tränen vergießen. Da hatte sie ihn angeschrien und gesagt, er selbst sei der Dummkopf und ein Schwächling obendrein, denn er hätte niemals den Mut gehabt, seinem Herzen zu folgen.
    Warum hatte ihr nie jemand gesagt, dass nicht die Liebe selbst, sondern ihre tückischen Torhüter den meisten Mut erforderten: die Panik, sich dieses Gefühl einzugestehen, die Angst, es auszusprechen, die Furcht, zurückgewiesen zu werden? Warum hatte ihr niemand gesagt, dass der Zwilling der Liebe nicht der Hass war, sondern die Feigheit? Hätte sie es früher gewusst, hätte sie den wahren Grund erkannt, warum sie alles tat, um sich

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