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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Laderaum eine unbezähmbare Kraft entfesselt worden, eine Energie, die das Werg aus den Fugen des Schoners hätte schütteln können.
    Plötzlich wurde die Luke aufgerissen, und die Stimme eines unsichtbaren Silahdars schallte herab. Das Gitter war noch geschlossen, sodass Diti ihn weder sehen noch verstehen konnte. Sie wies Kalua und Paulette an, die anderen zum Schweigen zu bringen, und wandte ihr verschleiertes Gesicht zur Luke empor. »Wer sind Sie?«

    »Was ist denn bei euch Kulis los?«, kam die Antwort. »Was soll der Lärm?«
    »Sie wissen genau, was los ist«, sagte Diti. »Sie haben eine von uns weggeschleppt. Wir machen uns Sorgen um sie.«
    »Sorgen, soso.« Es klang höhnisch. »Und warum habt ihr euch keine Sorgen gemacht, als sie mit einem Laskaren herumgehurt hat? Einem Muslim noch dazu?«
    »Malik«, sagte Diti, »lassen Sie sie zu uns runter, dann regeln wir die Sache hier. Wir machen das am besten unter uns aus.«
    »Dafür ist es zu spät. Der Subedar sagt, sie bleibt ab jetzt an einem sicheren Ort.«
    »Sicher? Bei euch? Erzählen Sie mir doch nichts, ich weiß Bescheid. Gehen Sie zu Ihrem Subedar und sagen Sie ihm, wir wollen das Mädchen sehen, vorher geben wir keine Ruhe. Los, gehen Sie!«
    Einen Moment blieb es still, und sie hörten, wie sich die Mistris und Silahdars untereinander berieten. Dann sagte einer von ihnen: »Jetzt verhaltet euch erst mal still. Wir wollen sehen, was der Subedar sagt.«
    »Gut.«
    Ein Tumult brach im Zwischendeck aus, als die Luke wieder zugeschlagen wurde.
    »Du hast es wieder geschafft, bhaujī …«
    »Die haben Angst vor dir …«
    »Was du sagst, bhaujī , das müssen die einfach machen …«
    Diese voreiligen Kommentare machten Diti Angst. »Noch ist nichts passiert«, erwiderte sie schroff. »Erst mal abwarten …«
    Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis die Luke wieder aufging. Ein Finger zeigte durch das Gitter auf Diti. »Du da«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor. »Der Subedar sagt, du kannst zu dem Mädchen, aber sonst niemand.«

    »Allein?«, fragte Diti. »Wieso allein?«
    »Weil wir hier nicht schon wieder einen Aufruhr wollen. Hast du schon vergessen, was bei Ganga-Sagar los war?«
    Diti spürte, wie sich Kaluas Hand in ihre schob, und sagte mit erhobener Stimme: »Ich gehe nicht ohne meinen Mann.«
    Das führte zu einer weiteren geflüsterten Beratung und einem weiteren Zugeständnis. »Gut – er kann mitkommen.«
    Das Gitter öffnete sich quietschend, und Diti kletterte, von Kalua gefolgt, langsam an Deck. Drei Silahdars standen dort, mit langen Stöcken bewaffnet, die Gesichter von ihren Turbanen beschattet. Kaum waren Diti und Kalua oben, wurden Gitter und Luke wieder zugeschlagen, mit einer Endgültigkeit, dass Diti sich fragte, ob die Wachen nur darauf gewartet hatten, sie und Kalua von den anderen Girmitiyas zu trennen. Waren sie in eine Falle geraten?
    Ihre Befürchtungen verstärkten sich noch, als die Silahdars einen Strick hervorholten und Kalua befahlen, die Hände auszustrecken.
    »Wieso fesselt ihr ihn?«, rief Diti.
    »Damit er Ruhe gibt, solange du weg bist.«
    »Ich gehe aber nicht ohne ihn.«
    »Willst du lieber geschleift werden? Wie die andere?«
    Kalua stieß sie an. »Geh«, flüsterte er. »Wenn es Ärger gibt, dann schrei. Ich bin hier, ich höre dich. Ich finde schon eine Möglichkeit …«

    Diti zog ihren ghūnghat weiter herab und folgte dem Silahdar zur Mittschiffskajüte hinab. Im Gegensatz zum Laderaum war dieser Teil des Schiffes hell erleuchtet. Mehrere Lampen hingen an der Decke und schwangen mit den Bewegungen des Schiffes in weitem Bogen hin und her, sodass sich die Schatten der Männer im Raum vervielfachten, als wirbelten darin zahllose
Gestalten umher. Unten angekommen, wandte Diti den Blick ab und hielt sich an der Leiter fest. Der Rauch- und Schweißgeruch sagte ihr, dass sich hier viele Männer aufhielten, und sie spürte, wie sich ihre Blicke in den Schutzschild ihres ghūnghat s bohrten.
    »Das ist sie …«
    »Jobhan sabhanke hamre khilāf bhatkāvat rahle … «
    »Das ist die, die dauernd die anderen gegen uns aufhetzt …«
    Der Mut drohte Diti zu verlassen, und ihre Füße hätten ihr den Dienst versagt, hätte der Silahdar sie nicht leise aufgefordert: »Wieso bleibst du stehen? Geh weiter.«
    »Wo bringen Sie mich hin?«, fragte Diti.
    »Zu dem Mädchen«, antwortete der Silahdar. »Das wolltest du doch.«
    Mit einer Kerze in der Hand führte er sie eine weitere Treppe hinab, in ein Gewirr von

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