Das mohnrote Meer - Roman
Vorratsräumen. Aus der Bilge stieg ein so übler Gestank auf, dass sie sich die Nase zuhalten musste.
An einer verriegelten Tür blieb der Silahdar stehen. »Da drin ist sie«, sagte er.
Diti warf einen ängstlichen Blick auf die Tür. »Da drin?«, fragte sie. »Was ist das für ein Raum?«
»Ein Vorratsraum.« Der Silahdar stieß die Tür auf.
Der Geruch in dem Raum erinnerte an einen Basar; der gummiartige, ölige Gestank von Asant überdeckte sogar den aus der Bilge. Es war stockdunkel, und Diti sah nichts, aber sie hörte ein Schluchzen und rief: »Munia?«
»Bhaujī? «, rief Munia erleichtert zurück. »Bist du’s wirklich?«
»Ja, Munia, wo bist du? Ich sehe nichts.«
Das Mädchen warf sich in Ditis Arme. »Bhaujī! Bhaujī! Ich wusste, du würdest kommen.«
Diti hielt sie mit ausgestreckten Armen auf Abstand. »Du dummes Ding, Munia, du dummes Ding!«, rief sie. »Was hast du denn da oben gemacht?«
»Nichts, bhaujī , nichts, glaub mir, er hat mir nur beim Hühnerfüttern geholfen. Da haben sie sich angeschlichen und ihn geschlagen. Und dann haben sie ihn runtergeworfen.«
»Und du?«, fragte Diti. »Haben sie dir was getan?«
»Nicht viel, bhaujī , nur ein paar Ohrfeigen und Tritte. Aber auf dich haben sie gewartet …«
Plötzlich merkte Diti, dass jemand mit einer Kerze in der Hand hinter ihr stand. Eine tiefe, dröhnende Stimme sagte zu dem Silahdar: »Bring das Mädchen weg – ich brauche die andere. Ich will mit ihr allein reden.«
Im flackernden Licht sah Diti hoch aufgestapelte Säcke mit Getreide und Hülsenfrüchten. Die Regale an den Wänden quollen über von Gefäßen mit Gewürzen, von Zwiebel- und Knoblauchbündeln und riesigen Krügen mit eingelegten Limonen, Chilis und Mangos. Weißer Staub hing in der Luft, wie ihn Getreidesäcke ausdünsten. Als die Tür des Vorratsraums zugeschlagen wurde, flog Diti ein roter Krümel Chili ins Auge.
»Nun?«
Ohne Eile verriegelte Bhairo Singh die Tür und steckte seine Kerze aufrecht in einen Sack Reis. Diti hatte die ganze Zeit von ihm abgewandt gestanden, doch jetzt drehte sie sich um, hielt mit einer Hand ihren ghūnghat fest und rieb sich mit der anderen das Auge.
»Was soll das?«, fragte sie betont trotzig. »Warum wollen Sie mich allein sprechen?«
Bhairo Singh trug einen langot und eine baniyāin , dürftige Kleidungsstücke, die seinen Bauch bei Weitem nicht in
Schranken halten konnten. Er versuchte gar nicht erst, sein Hemd weiter herabzuziehen, sondern schob die Hände unter den Bauch und bewegte ihn sacht auf und ab, als wollte er ihn wiegen. Dann zupfte er einen Fussel aus der gähnenden Höhle seines Nabels und musterte ihn eingehend.
»Und?«, wiederholte er. »Was hast du geglaubt, wie lange du dich vor mir verstecken kannst, kabutri-kī-mā?« Diti verschlug es den Atem, und sie stopfte sich ihren ghūnghat in den Mund, um nicht laut aufzuweinen.
»Warum so schweigsam? Hast du mir nichts zu sagen?« Bhairo Singh fasste nach ihrem ghūnghat . »Du brauchst dich nicht mehr zu verschleiern. Wir sind hier ganz unter uns.«
Er zog ihr den Schleier weg, hob mit dem Finger ihr Gesicht zu sich empor und nickte befriedigt. »Die grauen Augen, ich erinnere mich – Hexenaugen. Die Augen einer Hexe, haben manche gemeint, aber ich habe immer gesagt, nein, das sind die Augen einer Hure.«
Diti versuchte seine Hand von ihrem Hals wegzuschlagen, aber ohne Erfolg. »Wenn du gewusst hast, wer ich bin«, sagte sie, noch immer trotzig, »warum hast du dann nicht längst etwas gesagt?«
Sein Mund verzog sich spöttisch. »Hätte ich Schande über mich bringen sollen? Eine Verbindung zu einer Frau wie dir eingestehen? Einer Hure, die mit einem Dreck-Sweeper durchgebrannt ist? Einer läufigen Hündin, die Schande über ihre Familie, ihr Dorf, ihre angeheiratete Verwandtschaft gebracht hat? Ich bin doch nicht verrückt! Ich habe schließlich Töchter zu verheiraten.«
Ditis Augen verengten sich. »Pass auf, was du sagst«, fauchte sie zurück. »Mein jorā wartet oben.«
»Dein jorā? Den dreckigen Aasfresser kannst du vergessen. Der ist tot, bevor das Jahr um ist.«
»Was sagst du da?«, keuchte Diti.
Er strich ihr mit dem Finger über den Hals und kniff sie ins Ohrläppchen. »Weißt du nicht, dass ich für eure Zuweisung zuständig bin? Weißt du nicht, dass ich entscheide, wer in Marich euer Herr wird? Deinen jorā habe ich für eine Plantage im Norden eingetragen, da kommt er nicht mehr lebend raus. Verlass dich drauf:
Weitere Kostenlose Bücher