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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Fußgetrappel über ihnen anschwoll, fanden sich die Auswanderer zu ratlosen kleinen Grüppchen zusammen. Bald mischten sich noch beunruhigendere Laute in das Trommelfeuer – ein Chor von Alarmrufen und Kommandos: »Mann über Bord! Wahrschau achtern! Achtern wahrschau!«
Die Bewegung des Schoners aber blieb dieselbe: Er pflügte durch die Wellen wie zuvor.
    Plötzlich wurde die Luke des Laderaums aufgerissen, und Diti und Munia kamen herabgetaumelt. Sofort schob sich Paulette durch die Menge, die sich um die beiden scharte. »Was ist passiert? Was ist passiert? Seid ihr verletzt?«
    Diti zitterte so stark, dass sie kaum sprechen konnte. »Nein, wir sind nicht verletzt, Munia und ich. Die Glocke hat uns gerettet.«
    »Wer hat sie geläutet?«
    »Mein Mann … es gab einen Kampf, und einer der Silahdars ist über Bord gefallen … es war ein Unfall, aber sie reden von Mord … sie haben ihn an den Mast gefesselt, meinen Mann …«
    »Was machen sie mit ihm, bhaujī? «
    »Ich weiß es nicht«, schluchzte Diti und rang die Hände. »Ich weiß es nicht, Paggli. Der Subedar spricht mit den Offizieren. Jetzt liegt alles beim Kapitän. Vielleicht erbarmt er sich … wir können nur hoffen …«
    Munia schlüpfte im Dunkeln an Paulettes Seite und fasste sie am Arm. »Sag, Paggli, was ist mit Azad? Wie geht es ihm?«
    Paulette funkelte sie empört an. »Munia, wie kannst du so etwas fragen, nach all dem Unheil, das du angerichtet hast?«
    Munia fing an zu weinen. »Aber wir haben doch gar nichts getan, Paggli, wirklich nicht, wir haben nur geredet. Ist das so schlimm?«
    »Ob schlimm oder nicht, Munia, er ist derjenige, der den Preis dafür bezahlt. Er ist so schwer verletzt, dass er kaum bei Bewusstsein ist. Am besten, du hältst dich von ihm fern.«

    Für Zachary war das Verwirrendste am Leben auf See der eigenartige Schlafrhythmus, der sich aus der immer gleichen
Abfolge der Wachen ergab. Sie wechselten alle vier Stunden – die Hundewachen in der Morgen- und der Abenddämmerung ausgenommen –, und oft musste er gerade dann aufstehen, wenn er am tiefsten schlief. Infolgedessen schlief er so, wie ein Vielfraß isst: Er verschlang gierig, so viel er konnte, und ärgerte sich über jede Minute, um die sich der Festschmaus verkürzte. Während er schlief, blendete sein Gehör alle störenden Geräusche aus – Rufe und Kommandos, das Meer und den Wind. Ging aber die Schiffsglocke, registrierten seine Ohren die Zahl der Schläge, und selbst im tiefsten Schlaf war ihm bewusst, wie viel Zeit noch blieb, bis er wieder an Deck musste.
    In dieser Nacht war Zachary bis Mitternacht wachfrei. Er hatte sich bald nach dem Abendessen in seine Koje gelegt, war sofort eingeschlummert und hatte fest geschlafen, bis die Glocke am Deckshaus ertönte. Er wurde schlagartig wach, fuhr in eine Hose, stürzte ans Heck und hielt nach dem Mann Ausschau, der über Bord gegangen war. Es war nichts mehr von ihm zu sehen, und man konnte auch nichts mehr tun. Jedermann wusste, dass die Überlebenschancen des Silahdars in der bewegten See zu gering waren, als dass es Sinn gehabt hätte, die Segel zu reffen und beizudrehen. Bis diese Manöver ausgeführt waren, wäre der Mann längst tot gewesen. Einem Ertrunkenen den Rücken zu kehren, war jedoch nicht so einfach, und so blieb Zachary noch lange am Heck stehen, auch als es längst sinnlos geworden war.
    Bis er wieder in seine Kajüte hinunterging, war der Missetäter bereits an den Hauptmast gefesselt, und der Kapitän hatte sich mit Bhairo Singh und Babu Nob Kissin, seinem Dolmetscher, ebenfalls in seine Kajüte zurückgezogen. Eine Stunde später – Zachary wollte gerade zu seiner Wache an Deck – klopfte Steward Pinto an seine Tür und sagte, er solle
zum Kapitän kommen. Als er dessen Kajüte betrat, saßen Mr. Chillingworth und Mr. Crowle bereits am Tisch, der Steward stand mit einem Brandytablett im Hintergrund.
    Nachdem die Gläser eingeschenkt waren, entließ der Kapitän Pinto mit einem Nicken. »Und jetzt ab mit Ihnen«, sagte er. »Und dass Sie mir nicht auf dem Achterdeck herumschleichen.«
    »Sahib.«
    Der Kapitän wartete, bis der Steward gegangen war, und ergriff dann wieder das Wort. »Eine üble Sache ist das, meine Herren«, sagte er und drehte sein Glas in den Händen. »Eine üble Sache – schlimmer als ich dachte.«
    »Das ist ein Schläger, dieser schwarze Bastard«, sagte Mr. Crowle. »Wenn ich den hab baumeln sehen, dann werd ich ruhiger schlafen.«
    »Hängen wird er auf

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