Das mohnrote Meer - Roman
jeden Fall«, antwortete der Kapitän. »Aber wie dem auch sei: Ich bin nicht befugt, ihn zu verurteilen. Der Fall muss in Port Louis vor einen Richter gebracht werden. In der Zwischenzeit muss sich der Subedar damit begnügen, ihn auszupeitschen.«
»Auspeitschen und hängen, Sir?«, fragte Zachary ungläubig. »Für ein und dasselbe Delikt?«
»Wie der Subedar es sieht«, sagte der Kapitän, »ist der Mord noch das geringste seiner Verbrechen. In seiner Heimat, sagt er, würde der Mann für das, was er getan hat, in Stücke geschnitten und an die Hunde verfüttert werden.«
»Was hat er denn getan, Sir?«, wollte Zachary wissen.
»Dieser Mensch« – der Kapitän las den Namen von einem Blatt ab –, »dieser Maddow Colver, das ist ein Paria, der mit einer Frau aus einer hohen Kaste durchgebrannt ist, einer Verwandten des Subedars übrigens. Deswegen hat er sich als Kontraktarbeiter gemeldet – um die Frau an einen Ort zu bringen, wo man sie nicht finden würde.«
»Aber Sir«, wandte Zachary ein, »was für eine Frau er sich aussucht, das geht uns doch wohl nichts an? Und wir können ihn doch wohl nicht auspeitschen lassen, solange er in unserem Gewahrsam ist?«
»Ach, ja?« Der Kapitän zog die Brauen hoch. »Es erstaunt mich, dass ausgerechnet Sie – ein Amerikaner! – solche Fragen stellen. Was glauben Sie, was in Maryland los wäre, wenn ein Neger eine Weiße vergewaltigen würde? Was würden Sie oder ich oder irgendeiner von uns mit einem Nigger machen, der sich an unserer Frau oder unserer Schwester vergangen hat? Wieso sollten der Subedar und seine Leute da weniger heftig reagieren als wir? Und mit welchem Recht verweigern wir ihnen die Rache, die wir selbst als unser gutes Recht betrachten würden? Nein, Sir …« Der Kapitän erhob sich und begann in der Kajüte auf und ab zu wandern. »Nein, Sir«, fuhr er fort, »ich werde diesen Männern, die uns treu gedient haben, die Gerechtigkeit, die sie suchen, nicht verweigern. Denn eins sollten Sie wissen, meine Herren: Es gibt ein stillschweigendes Abkommen zwischen dem weißen Mann und den Eingeborenen, die seine Macht in Hindustan stützen – dass man, wenn es um Heirat und Fortpflanzung geht, unter seinesgleichen zu bleiben hat. Der Tag, an dem die Eingeborenen den Glauben an uns als Garanten des Kastensystems verlieren – das wird der Tag sein, an dem unsere Herrschaft dem Untergang geweiht ist. Auf diesem unantastbaren Prinzip beruht unsere Autorität, und darin unterscheidet sich unsere Herrschaft von der solch degenerierter, heruntergekommener Völker wie der Spanier und Portugiesen. Wenn Sie sehen möchten, Sir, wozu eine Vermischung der Rassen führt, dann brauchen Sie nur ihre Besitzungen zu besuchen …«
Der Kapitän blieb abrupt stehen und postierte sich dann hinter einem Sessel. » … und da ich schon einmal beim Thema bin,
lassen Sie mich offen sprechen, meine Herren: Was Sie beide im Hafen tun, ist Ihre Sache: An Land unterstehen Sie nicht mehr meiner Gerichtsbarkeit; ob Sie Ihre Zeit in irgendwelchen Kaschemmen oder im Puff verbringen, geht mich nichts an, auch dann nicht, wenn Sie sich in den finstersten Löchern herumtreiben. Aber auf See und unter meinem Kommando – sollte mir da auch nur das Geringste über irgendwelchen Verkehr eines meiner Offiziere mit einer Eingeborenen zu Ohren kommen … nun, meine Herren, dann hat derjenige keine Gnade von mir zu erwarten. Das sollten Sie wissen.«
Keiner der beiden Steuerleute äußerte sich zu diesen Worten, und beide wandten den Blick ab.
»Was nun diesen Maddow Colver betrifft«, fuhr der Kapitän fort, »der wird morgen Mittag ausgepeitscht. Sechzig Hiebe, von dem Subedar, um zwölf.«
»Sagten Sie sechzig, Sir?«, fragte Zachary ungläubig.
»Darum hat der Subedar gebeten, und ich habe es ihm zugestanden.«
»Aber könnte er da nicht verbluten, der Kuli?«
»Das wird man sehen, Reid. Der Subedar wäre sicher nicht allzu traurig darüber.«
Kurz nach Tagesanbruch hörte Paulette, wie durch die Lüftungsöffnung ihr Name geflüstert wurde. »Putli? Putli?«
»Jodu?« Sie stand auf und hielt das Auge an die Öffnung. »Geh weiter zurück, Jodu, damit ich dich richtig sehen kann.«
Er trat zurück, und sie hielt unwillkürlich den Atem an. In dem Licht, das durch die Ritzen des Schotts schräg einfiel, sah sie, dass er den linken Arm in einer behelfsmäßigen Schlinge trug. Seine Augen waren schwarz verschwollen, sodass man kaum noch das Weiße sah, seine Wunden bluteten
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