Das mohnrote Meer - Roman
noch, und seine geborgte baniyāin war voller streifiger Flecken.
»O Jodu!«, flüsterte sie. »Jodu! Was haben sie mit dir gemacht?«
»Nur die Schulter tut weh«, sagte er und versuchte zu lächeln. »Das andere sieht schlimmer aus, als es ist.«
Da wurde Paulette plötzlich wütend. »Daran ist diese Munia schuld, die ist eine solche …«
»Nein!«, unterbrach Jodu sie. »Ihr kannst du keinen Vorwurf machen; ich bin selbst schuld.«
Das konnte Paulette nicht leugnen. »Ach Jodu«, sagte sie, »du bist ein solcher Dummkopf. Was machst du nur für Sachen?«
»Da war gar nichts, Putli«, sagte er lässig. »Ein harmloser Zeitvertreib, mehr nicht.«
»Hab ich dich nicht gewarnt, Jodu?«
»Doch, hast du. Und andere auch. Aber jetzt mal andersrum gefragt: Hab ich dich nicht davor gewarnt, auf dieses Schiff zu kommen? Und hast du auf mich gehört? Nein, natürlich nicht. Du und ich, wir waren schon immer so, alle beide. Und wir sind immer ungeschoren davongekommen. Aber irgendwann hört das wohl auf, oder? Und dann muss man wieder ganz von vorn anfangen.«
Diese Worte beunruhigten Paulette, nicht zuletzt deshalb, weil Selbsterkenntnis Jodu bislang völlig fremd gewesen war. Noch nie hatte sie ihn so reden hören.
»Und jetzt, Jodu?«, fragte sie. »Was passiert jetzt mit dir?«
»Ich weiß es nicht. Manche von meinen Bordkameraden sagen, in ein paar Tagen ist der ganze Wirbel vergessen, aber andere meinen, die Silahdars werden mich für den Rest der Fahrt auf dem Kieker haben.«
»Und du? Was meinst du?«
Er ließ sich mit der Antwort Zeit. »Was mich betrifft, Putli«, sagte er schließlich mit einiger Anstrengung, »ich bin fertig
mit der Ibis . Nachdem man mich vor allen anderen wie einen Hund verprügelt hat, würde ich lieber ertrinken, als auf diesem verfluchten Schiff zu bleiben.«
Etwas Fremdes, Unversöhnliches schwang in seiner Stimme mit, und Paulette warf ihm einen Blick zu, als wollte sie sich vergewissern, dass tatsächlich Jodu gesprochen hatte. Doch der Anblick, der sich ihr bot, beruhigte sie keineswegs. Mit seinen Blutergüssen, dem verquollenen Gesicht und dem blutigen Hemd sah er aus wie die Larve eines neuen, unbekannten Lebewesens. Sie musste an einen Tamarindensamen denken, den sie einmal in feuchte Tücher gepackt hatte. Nachdem sie ihn zwei Wochen lang gewässert und ein kleiner Trieb sich daraus emporgeschoben hatte, schlug sie die Hüllen auseinander, um nach dem Samen zu sehen, doch außer ein paar winzigen muschelförmigen Stückchen war nichts mehr davon übrig.
»Was willst du dann machen, Jodu?«, fragte sie.
Er kam näher heran und legte die Lippen an die Öffnung. »Hör zu, Putli«, flüsterte er, »ich dürfte dir das gar nicht sagen, aber vielleicht gibt es für einige von uns eine Möglichkeit, von der Ibis runterzukommen.«
»Für wen? Und wie?«
»In einem der Boote. Ich, die beiden Sträflinge und ein paar andere. Es ist noch nicht sicher, aber wenn, dann passiert es heute Nacht. Und vielleicht musst du dann etwas für uns tun. Ich weiß es noch nicht genau, aber ich geb dir Bescheid. Bis dahin kein Wort, zu niemandem.«
»Hābes pāl!«
Der Befehl zum Beidrehen ertönte mitten am Vormittag. Im Laderaum unten wussten alle, dass man die Segel niederholen würde, bevor Kalua ausgepeitscht wurde. Die verlangsamte
Fahrt des Schiffes sagte den Auswanderern, dass der Zeitpunkt unmittelbar bevorstand. Da die Masten nun fast kahl waren, pfiff der Wind durch die Takelage. Er hatte die ganze Nacht über gleichmäßig geweht, und die Ibis pflügte noch immer durch hohe gischtgefleckte Wellen. Der Himmel hatte sich verdunkelt; graue Wolkenbänke schoben sich übereinander.
Kaum hatte das Schiff an Fahrt verloren, machten sich die Mistris und Silahdars mit grimmigem, geradezu lüsternem Behagen daran, die Girmitiyas antreten zu lassen. Die Frauen hätten im Laderaum zu bleiben, hieß es, die Männer aber, von einigen wenigen abgesehen, die sich so elend fühlten, dass sie nicht aufstehen konnten, mussten an Deck. Sie hatten erwartet, Kalua dort an den Mast gekettet vorzufinden, aber er war nirgends zu sehen. Man hatte ihn in die Back gebracht, um ihn erst später herauszuführen, damit sein Erscheinen die größtmögliche Wirkung erzeugte.
Der Schoner stampfte so stark, dass die Auswanderer sich nicht auf den Beinen halten konnten. Sie wurden angewiesen, sich in Reihen hinzusetzen, das Gesicht zum Quarterdeck, den Rücken zum Bug. Wie um das Abschreckende dessen, was
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