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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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weiß, der Tod des Subedars war ein schwerer Schock für euch …« Während der Gumashta dolmetschte, wischte
sich der Kapitän den Schweiß vom Gesicht. »Glaubt mir, ich teile euren Kummer. Der Subedar war ein feiner Mensch, und ich bin genauso fest entschlossen wie ihr, dafür zu sorgen, dass sein Tod gerächt wird.« Da die Meuterei nun abgewendet war, wollte der Kapitän sich offenbar so großzügig wie möglich zeigen. »Ihr habt mein Wort: Der Mörder wird hängen. Aber ihr müsst euch bis morgen gedulden, denn eine Hinrichtung so kurz nach einer Bestattung wäre pietätlos. Heute müsst ihr eures Subedars gedenken – und anschließend müsst ihr euch in euer Quartier zurückziehen.«
    Kapitän und Steuermänner sahen schweigend zu, wie die Silahdars dem Subedar die letzte Ehre erwiesen. Als die Zeremonie beendet war, mussten die Aufseher und Bewacher unter Deck. Nachdem der letzte von ihnen verschwunden war, sagte der Kapitän erleichtert: »Am besten, die bleiben bis morgen da unten. Da haben sie Zeit, sich zu beruhigen.«
    Die Kräfte des Kapitäns hatten den ganzen Tag über sichtlich nachgelassen. Als er sich jetzt das Gesicht abwischte, sah man ihm an, wie erschöpft er war. »Ich muss gestehen, ich fühle mich nicht allzu frisch«, sagte er. »Das Deck gehört Ihnen, Mr. Crowle.«
    »Wir haben alles im Griff«, sagte der Erste Steuermann. »Ruhen Sie sich aus, so lange sie möchten.«

    Diti erfuhr als eine der Letzten, dass Kaluas Hinrichtung verschoben worden war, und weil sie kostbare Zeit damit vergeudet hatte, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, wurde sie nun wütend, am meisten auf sich selbst. Wenn sie ihrem Mann in irgendeiner Weise helfen wollte, musste sie versuchen, so zu denken wie er, das wusste sie genau, und sein wertvollstes Hilfsmittel in Notsituationen war nicht seine Körperkraft, sondern sein kühler Kopf. Instinktiv wandte sie sich der einzigen
Person zu, auf die sie sich verlassen konnte. »Paggli, komm, setz dich zu mir.«
    »Bhaujī? «
    Diti legte Paulette den Arm um die Schultern und beugte sich zu ihr. »Sag, Paggli, was soll ich tun? Wenn kein Wunder geschieht, bin ich morgen Witwe.«
    Paulette nahm ihre Hand und drückte sie. »Gib die Hoffnung nicht auf, bhaujī . Noch ist nicht morgen. Bis dahin kann noch viel passieren.«
    »Ja?« Diti hatte bemerkt, dass Paulette sich den ganzen Vormittag über immer wieder an der Lüftungsöffnung aufgehalten hatte; sie schien mehr zu wissen, als sie sagen wollte. »Was denn, Paggli? Bahnt sich da irgendetwas an?«
    Paulette zögerte einen Moment, dann nickte sie knapp. »Ja, bhaujī , aber frag mich nicht, was, ich kann dir nichts sagen.«
    Diti warf ihr einen klug abschätzenden Blick zu. »Gut, Paggli, ich frag dich nicht. Aber sag mir eins: Hältst du es für möglich, dass mein jorā lebend davonkommt?«
    »Wer weiß, bhaujī? Es gibt eine Möglichkeit. Mehr kann ich nicht sagen.«
    »Hāy ram! « Diti legte Paulette dankbar die Hände an die
    Wangen. »O Paggli, ich wusste, ich kann dir vertrauen.«
    »Sag das nicht, bhaujī! «, rief Paulette. »Sag lieber gar nichts. Es kann noch so viel schiefgehen. Wir wollen’s nicht beschreien.«
    Diti ahnte, dass mehr hinter Paulettes Worten steckte als bloßer Aberglaube; sie spürte ihre Unruhe daran, wie angespannt ihre Wangen waren.
    »Sag, Paggli«, fragte sie nahe an ihrem Ohr, »spielst du eine Rolle bei dem, was da passieren soll?«
    Wieder zögerte Paulette, bevor sie im Flüsterton damit herausplatzte: »Eine ganz kleine, bhaujī , aber eine sehr wichtige,
hat man mir gesagt. Und ich habe Angst, die Sache könnte schiefgehen.«
    Diti rieb ihr die Wangen, um sie zu wärmen. »Ich bete für dich, Paggli …«

    Um kurz nach vier, gleich nach Beginn der ersten Hundewache des Nachmittags, kam Kapitän Chillingworth in einem altmodischen Umhang wieder an Deck. Er wirkte blass und fiebrig und hatte seine Arme um die Brust geschlungen. Als er aus dem Niedergang auftauchte, waren seine Augen sofort zu der an den Hauptmast gefesselten, schlaff vornüberhängenden Gestalt gewandert. Er warf dem Ersten Steuermann einen fragenden Blick zu, den Mr. Crowle mit einem grimmigen Lachen beantwortete. »Der Nigger lebt noch. Den Kerl kann man zehn Mal umbringen, dann ist er immer noch nicht tot.«
    Der Kapitän nickte und schlurfte mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern zur Luvseite des Achterdecks hinüber. Dort angelangt, blickte er nach Osten, wo sich dunkle Wolkenfetzen zu einer

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