Das mohnrote Meer - Roman
Batterie von Segeln. Das heftige Schwanken seiner Koje, sagte Zachary, dass die Ibis von mindestens zwanzig Fuß hohen Sturzseen hin und her geworfen wurde. Sie kamen nicht mehr nur über das Schanzkleid, sondern krachten von oben herab.
Während er in seiner Koje lag, hatte Zachary zweimal ein bedenkliches Knarren gehört, als könnte jeden Moment eine Spiere oder gar ein Mast brechen. Eigentlich hatte er sich gründlich ausschlafen wollen, aber nun war er hellwach und horchte auf weitere Anzeichen eines Schadens. So kam es, dass er schon bei der ersten Andeutung eines Klopfens an seiner Tür hochfuhr. Es war dunkel in der Kajüte, denn er hatte die Lampe gelöscht. Als er aus seiner Koje taumelte, rollte der Schoner nach Backbord und warf ihn gegen die Tür, an der er mit dem Kopf voran aufgeprallt wäre, hätte er sich nicht noch zur Seite gedreht und den Stoß mit der Schulter abgefangen.
Als sich das Schiff wieder aufrichtete, rief er: »Wer ist da?« Da keine Antwort kam, öffnete er die Tür.
Steward Pinto hatte nur eine einzige Lampe in der Messe brennen lassen, und im trüben Licht der flackernden Flamme sah Zachary, dass ein Laskare vor der Tür stand, sein triefendes Ölzeug über dem Arm, ein drahtiger, jungenhaft wirkender Bursche mit einem Tuch um den Kopf. Sein Gesicht lag im Schatten, sodass Zachary ihn nicht erkannte.
»Wer bist du?«, fragte er. »Was machst du hier?«
Im selben Moment gierte der Schoner nach Steuerbord, und beide stolperten in die Kajüte. Noch während sie Halt suchten, schlug die Tür zu, und erneut kippte der Boden weg. Plötzlich lag Zachary in seiner Koje, neben ihm der Laskare. Dann vernahm er im Dunkeln ein Flüstern, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Mr. Reid … Mr. Reid … bitte …« Die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor, aber auf höchst beunruhigende Weise, wie etwas, das so weit von seinem angestammten Ort entfernt ist, dass es nur eine unnatürliche Variante seiner selbst sein kann. Zachary blieb das Wort im Hals stecken, und es überlief ihn kalt, als er das Flüstern von Neuem hörte. »Mr. Reid, ich bin’s, Paulette Lambert …«
»Was?« Es hätte Zachary nicht im Mindesten überrascht, wenn das Wesen neben ihm sich plötzlich in nichts aufgelöst hätte, denn was konnte es anderes sein als eine Ausgeburt seiner Fantasie? Doch diese Möglichkeit schied alsbald aus, denn die Stimme wiederholte ihre Behauptung. »Bitte, Mr. Reid … glauben Sie mir, ich bin’s, Paulette Lambert.«
»Unmöglich!«
»Doch, wirklich, Mr. Reid«, fuhr die Stimme in der Dunkelheit fort. »Es ist wahr. Ich bitte Sie inständig, seien Sie mir nicht böse, aber Sie müssen wissen, dass ich seit Beginn der Reise an Bord bin, im Zwischendeck, bei den Frauen.«
»Nein!« Zachary rückte zur Seite, so weit, wie die Koje es zuließ. »Ich war doch dabei, als die Kulis an Bord gekommen sind. Das hätte ich doch gemerkt.«
»Aber es ist wahr, Mr. Reid. Ich bin mit den Auswanderern auf das Schiff gekommen. Sie haben mich in meinem Sari nur nicht erkannt.«
Die Stimme sagte ihm, dass es wirklich Paulette war, und eigentlich hätte er sich freuen müssen, sie hier neben sich zu
haben. Aber wie jeder Seemann ließ er sich nicht gern foppen; er konnte Überraschungen nicht leiden, und es war ihm peinlich, was für eine lächerliche Figur er soeben gemacht haben musste.
»Nun, Miss Lambert«, sagte er steif, »wenn Sie’s sind, dann ist es Ihnen gelungen, mich ordentlich hinters Licht zu führen.
»Ich versichere Ihnen, Mr. Reid, das war nicht meine Intention.«
»Darf ich fragen« – er versuchte die Fassung wiederzugewinnen –, »welche Sie waren? Welche von den Frauen, meine ich.«
»Aber gewiss, Mr. Reid«, antwortete sie eifrig. »Sie haben mich viele Male gesehen, Sie haben nur nichts gemerkt. Ich war oft an Deck und habe dort Wäsche gewaschen.« Kaum war es heraus, hatte sie das Gefühl, zu viel gesagt zu haben, doch in ihrer zunehmenden Nervosität konnte sie nun nicht mehr aufhören. »Das Hemd, das Sie anhaben, Mr. Reid, das habe ich gewaschen, und auch Ihre ganze …«
»Schmutzige Unterwäsche? War’s das, was Sie sagen wollten?« Zachary wäre am liebsten im Erdboden versunken, und seine Wangen glühten. »Aber wozu das alles, um Himmels willen? Wozu all diese Tricks und Täuschungen, Miss Lambert? Um mich als Dummkopf hinzustellen?«
Sein scharfer Ton tat Paulette weh. »Sie trompieren sich sehr«, sagte sie, »wenn Sie meinen, ich wäre
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