Das mohnrote Meer - Roman
und Ufer hin- und herschallten. Ein paar Minuten später klopfte Mr. Doughty an die Tür seiner Kajüte. »Wissen Sie was, mein Junge?«, polterte er. »Sie werden’s nicht glauben, aber der Bara Sahib ist hier: kein anderer als Mr. Burnham höchstpersönlich! Hat sich in Kalkutta aufs Pferd geschwungen und ist losgeritten: Konnt’s nicht erwarten, sein neues Schiff zu sehen. Hab ihm die Gig rübergeschickt, er sitzt schon drin und wird gleich da sein.«
Er kniff die Augen zusammen, als er Zacharys neue Kleider sah. Schweigend musterte er ihn von Kopf bis Fuß. Dann stieß
er einmal wuchtig seinen Stock auf und erklärte: »Tipptopp, mein junger Chakara! Mit diesen Klamotten könnten Sie jeden Kizilbash in den Schatten stellen.«
»Freut mich, dass ich die Prüfung bestanden habe, Sir«, sagte Zachary ernst.
Irgendwo ganz in der Nähe zischte Serang Ali: »Was ich sag? Malum Zikri kein pakka Sahib jetz?«
DRITTES KAPITEL
K alua lebte in der Chamaren- bastī , einer ausschließlich von Angehörigen seiner Kaste bewohnten Ansammlung von Hütten. Die Siedlung zu betreten wäre für Diti und Kabutri, die ja Rajputen waren, schwierig gewesen, doch zum Glück lag Kaluas Behausung etwas außerhalb, nicht weit von der Straße nach Ghazipur. Diti war schon viele Male dort vorbeigekommen und hatte Kalua oft mit seinem Karren dahinrumpeln sehen. Seine Hütte hatte in ihren Augen keinerlei Ähnlichkeit mit einer menschlichen Behausung, sie sah eher aus wie ein Stall. Als sie nahe genug war, blieb sie stehen und rief: »He, Kalua! Was machst du?«
Nachdem sie noch mehrere Male gerufen und keine Antwort erhalten hatte, hob sie einen Stein auf und warf ihn in den türlosen Eingang der Hütte. Er verschwand im Dunkeln, und ein Klirren sagte ihr, dass er ein Tongefäß getroffen hatte. »He, Kalua!«, rief sie von Neuem. Jetzt regte sich etwas in der Hütte, das Dunkel am Eingang vertiefte sich, dann tauchte Kalua darin auf und trat gebückt heraus. Dicht hinter ihm, als wollten sie Ditis Vorstellung, dass er in einem Stall wohnte, bestätigen, folgten die beiden kleinen weißen Ochsen.
Kalua war ein Mann von außergewöhnlicher Körpergröße. Auf jedem Jahrmarkt und jedem Fest sah man ihn weit über die Menge aufragen, und selbst Gaukler auf Stelzen waren selten so groß wie er. Doch seinen Spitznamen Kalua – »Schwarzer« – verdankte er nicht seiner Größe, sondern seiner Farbe,
denn seine Haut zeigte das glänzende Schwarz eines geölten Schleifsteins. Als Kind, so erzählte man sich, habe er einen unersättlichen Appetit auf Fleisch verspürt, den seine Familie mit Aas gestillt habe. Sie waren Gerber, und ihr Handwerk verlangte, dass sie tote Kühe und Ochsen einsammelten; dem Fleisch dieser Kadaver habe Kalua seine riesenhafte Gestalt zu verdanken. Es hieß jedoch auch, sein Körper habe sich auf Kosten seines Geistes solcherart entwickelt. Kalua war langsam, ein Mann von schlichtem, arglosem Gemüt, den selbst kleine Kinder zu übervorteilen vermochten. So leicht war er zu täuschen, dass es seinen Brüdern und anderen Verwandten nach dem Ableben der Eltern nicht die geringste Schwierigkeit bereitet hatte, ihn um das wenige, was ihm rechtmäßig zustand, zu betrügen. Er hatte keinen Einspruch erhoben, auch nicht, als sie ihn aus dem Heim der Familie vertrieben und ihn in einem Stall sich selbst überließen.
Damals war Kalua von unerwarteter Seite Hilfe zuteil geworden. Eine von Ghazipurs bedeutendsten Grundbesitzerfamilien hatte drei Söhne, Thakur-Sahibs, die mit Leidenschaft dem Glücksspiel frönten. Ihr Lieblingszeitvertreib bestand darin, Wetten auf Ringkämpfe und Kraftproben abzuschließen, und als sie von Kaluas körperlichen Fähigkeiten hörten, schickten sie einen Ochsenkarren, der ihn zu ihrer kothī am Stadtrand brachte. »Are Kalua«, sagten sie zu ihm, »wenn du eine Belohnung bekämst, was hättest du dann gern?«
Nach reichlichem Kopfkratzen und gründlichem Nachdenken zeigte Kalua auf den Ochsenkarren und sagte: »Malik, wenn ich so eine bailgārī hätte, das wäre schön. Damit könnte ich meinen Lebensunterhalt verdienen.«
Die drei Thakurs nickten mit den Köpfen und sagten, er werde einen Ochsenkarren bekommen, wenn er einige Kostproben seiner Kraft gebe und einen Kampf gewinne. Es wurden
mehrere Ringkämpfe veranstaltet, und Kalua gewann sie alle, besiegte mühelos die Ringer und starken Männer der Stadt. Die jungen Grundbesitzer machten einen schönen Profit, und bald war Kalua im
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